Volltext: Schreib das auf, Kisch!

Löcher der Schießscharten nur zielen, wenn diese verdunkelt 
sind —ein Beweis, daß gerade jemand herauslugt. Mein Bruder 
hat mir heute zwei Bände der Rousseauschen „Gonfessions“ ge¬ 
schickt. Ich freute mich über die Sendung, aber eines befürchte 
ich: vor diesem bedeutenden Memoirenwerk wird mir mein 
eigenes Geschreibsel so albern Vorkommen, daß ich dieses Tage¬ 
buch vernachlässigen werde, um so mehr, als mich das Lesen 
ohnedies leicht vom Schreiben abhält. 
Donnerstag, den 8. Oktober 1914. 
Ich hatte vom Hilfsplatz weiße Fahnen mit dem roten Kreuz 
zu holen und zum Major Laschek zu bringen. Als ich mit meinen 
beiden Fähnchen herankam, war Major Laschek gerade mit dem 
Generalstabshauptmann Grafen Nostitz und Oberleutnant von 
Nastiö vom Brigadekommando in ein Gespräch verwickelt, das 
sich auf die Verhandlungen wegen der Bergung der vor unserer 
Linie befindlichen Leichen bezog. Ich blieb, um das Gespräch 
nicht zu stören, in Respektdistanz stehen, als eine Kugel heran¬ 
pfiff, den Major in das Kinn und in die Schulter traf. Er begann 
zu bluten und mußte sich zu Boden legen, damit ihm der Verband 
von dem diesmal schnell herbeigelaufenen Sanitätsunteroffizier 
(handelte es sich doch um einen Major!) angelegt werden könne. 
Ich hatte mich auf die Böschung zu stellen und die beiden 
Fahnen, deren Stock etwa zwei Meter hoch war, in die Höhe zu 
halten. Ein Infanterist von serbo-kroatischer Nationalität trat 
gleichfalls auf die Böschung und schrie dem 80 Schritt entfernt 
liegenden Feind die Worte zu, die ihm der Generalstäbler vor¬ 
sprach: ,,Wir — wollen — die Leichen — begraben — schießt 
nicht — wenn ihr einverstanden seid — steckt eine Fahne 
heraus.“ Der Dolmetscher schrie jeden dieser kleinen Wort¬ 
komplexe über den Brustwall und versteckte dann seinen Kopf 
hinter der Böschung, und das mit gutem Grund, denn die ser¬ 
bischen Freibeuter, die dort während des Tages die Funktionen 
von Soldaten versehen sollen, lassen sich durch die von uns 
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