Volltext: Alt-Wien [72/73/74]

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jaben ihr Bestes. Der Fürst Anton Radziwill, der in seiner 
Komposition des Goetheschen „Faust“ schon weit vorgerückt 
var und hier seinem musikalischen Hange mit aller Innigkeit 
folgte, war mir Anlaß, meinen wackeren Beethoven aufzusuchen, 
der aber, seit ich ihn nicht gesehen, an Taubheit und mürrischer 
Menschenscheu nur zugenommen hatte und nicht zu bewegen 
var, unsern Wünschen gefällig zu sein. Besonders wollte er 
mit den Vornehmen nichts mehr zu schaffen haben und drückte 
seinen Widerwillen mit zürnender Heftigkeit aus. Auf die Er— 
nnerung, der Fürst sei der Schwager des Prinzen Louis 
Ferdinand von Preußen, dessen frühen Tod er so betrauert 
hatte und dessen Kompositionen er höchlich schätzte, gab er etwas 
nach und wollte sich den Besuch gefallen lassen. Doch hat sich 
schwerlich ein näheres Verhältnis angeknüpft. Auch verzichtete 
ich, den verwilderten Künstler wiederum zu Rahel zu führen, 
denn Gesellschaft machte ihn unwillig, und mit ihm allein, wenn 
er nicht spielen mochte, war gar nichts anzufangen. Uebrigens 
war sein Name, wenn auch berühmt und verehrt, noch keines— 
vegs auf der Höhe der Anerkennung, die er seitdem erstiegen. 
In der hier zusammengeflossenen Menge erbhielt sich italienische 
Leichtigkeit und Anmut vor deutschem Ernste unverkennbar 
vorherrschend. 
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Karl August Varnhagen v. Ense (1785 bis 1858), 
dessen Bildungsgang durch A. W. Schlegel, Fichte, Schleier— 
macher nicht unwesentlich beeinflußt worden war, stand aber 
in seiner schriftstellerischen Tätigkeit ganz im Banne Goethes. 
Aus Düsseldorf gebürtig, kam er auf seinen vielfachen Reisen 
bereits 1805 nach Wien, wo er in den Bankierskreisen der Arn— 
stein, Pereira und Eskeles verkehrte; der Krieg gegen 
Napoleon 1809 führte ihn wieder nach Wien, wo er in die öster⸗ 
reichische Armee eintrat. In der Schlacht bei Wagram wurde 
er verwundet und nach seiner Genesung dem österreichischen 
Beneral Prinzen Bentheim als Adjutant zugeteilt. Im 
Jahre 1813 trat er als Hauptmann in die preußische Armee 
ind begleitete nun den russischen General von Tettenborn als 
Adjutant nach Paris, wo er seine bisherige Stellung mit dem 
diplomatischen Dienst, und zwar Preußens, vertauschte. Er 
hatte inzwischen (1814) Rahel Levin geheiratet und weilte 
vährend des Kongresses in Wien als Glied des preußischen 
diplomatischen Korps. — Die hier abgedruckte Stelle stammt 
aus dessen „Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens“, Teil TIV. 
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