Volltext: Alt-Wien [72/73/74]

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wissen sie nichts, außer etwan ihrem Gebetbuch, sind anbei 
über die Maßen leichtgläubig und stellen sich äußerlich bei 
Alen Gelegenheiten andächtig an. Dieses machet eben, daß ihr 
Umgang nicht allemal der angenehmste ist und, wann nicht 
etwan von Liebessachen was dabei vorfällt, reden sie oftmals 
hon nichts anders als von Regen oder schönen Wetter. Vor 
hre Geburtsstadt sind sie so, wo nicht mehr, doch eben so stark 
als die Pariser eingenommen und meinen, außer Wien sei 
lein Glück zu finden. Doch alle diese kleine Fehler werden 
durch eine fonderbare Großmütigkeit und ungemeine Frei— 
gebigkeit wieder ersetzt. Sie sind bei ihrer Freundschaͤft über 
die Maßen aufrichtig, suchen auch dem- oder derjenigen, der 
sie sich‘ einmal angenommen, äußerstermaßen beizustehen. 
Kommet es darzu, daß sie jemand liebgewinnen, tun sie es 
von treuen Herzen und, anstatt daß sie ihre Liebhaber um 
das Ihrige bringen sollten, finden sich einige darunter, welche 
vielmehr diejenigen, so sie hochschätzten, reich gemacht haben. ... 
Sehen, mein Herr, so viel habe ich von den Eigenschaften 
des Frauenzimmers zu erwähnen gehabt, jetzo will ich auch 
noch etwas von ihrem Zeitvertreib gedenken. Des morgens 
ttehen sie ziemlich spät auf, und haben sie kaum die Augen 
offen, so verlangen sie schon nach Chocolate, schicken darauf 
zu ihren Männern, lassen sich erkundigen, wen sie zur Tafel 
gebeten und ob die Stellen daran alle besetzt. Ist die Gesellschaft 
nicht nach dem Sinne der Frauen, so schicket sie nach einer 
hrer guten Freundinnen und läßt ihr wissen, daß sie bei ihr 
zu Mittag speisen wolle; oder wann noch einige Plätze leer 
sind, wie denn ein Mann, welcher höflich sein will, allemal 
einige dem freien Willen seiner Frau überläßt, so schicket sie 
hin und bittet zu sich, wer ihr beliebet. Nach diesem kleidet 
sie sich an und gehet in die Messe; denn es pflegen hier die— 
senigen Frauens-Personen, die auch sonst nicht eben gar zu 
indächtig sind, wenigstens des Tages eine Messe zu hören. 
In derselben lesen sie 8 bis 6 unterschiedene Gebeter, küssen 
allemal das Bildnuß, so vor jedem Gebet stehet, und beten 
hren Rosenkranz sehr andächtig daher. Nach der Messe reden 
sfie gemeiniglich eine Viertelstunde in der Kirche mit einander, 
tatten nachhero einen oder den andern Besuch bei guten 
Freunden ab oder nehmen dergleichen von andern an. Während 
dieses Besuchs erzählet man, was Neues in Wien vorgehet, 
und haben inzwischen alle miteinander kleine laquierte Kistlein 
auf dem Schoß, worauf sie, bis es Mittagszeit ist, Goldfaden
	        
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