Volltext: Alt-Wien [72/73/74]

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das eine merkwürdige Vorstellung von der moralischen Kraft 
der österreichischen Regierung. IJ 
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Ueber den Volkscharakter der Wiener ist viel geschrieben 
vorden. Es ist nicht gut, als Fremder ein Urteil abzugeben. 
Der Fremde kommt so sehr nur mit dem Teile einer Be⸗ 
bölkerung in Verbindung, der von ihm Vorteile zu ziehen 
hofft, daß es ihm leicht ges chehen kann wie den italienischen 
RKeisenden, die Italiens Bewohner nur nach den Gastwirten 
und Postillionen beurteilen.Eine traditionelle Phrase ist die 
Butmütigkeit der Wiener. Ich glaube, die Wiener von heute 
belächeln selbst diese Tradition. Sie wissen sehr gut, daß sie 
nücht mehr die alten Wiener sind, die wir in Vaudevilles und 
Wiener Possen auf der Bühne gesehen haben, die guten alten 
Schildbürger, die uns Bäuerle in seinen jungen Tagen ge⸗ 
childert hat. Steht ein Humorist wie Castelli nicht jetzt einsam 
in Wien? Die Zeiten haben sich verändert und mit ihnen die 
Menschen. 
Ich glaube, dem im Herzensgrunde guten und braven 
Wiener hat das Bewußtsein der Großstädtigkeit geschadet. Der 
Stolz, daß es nur ein Wien gäbe, ist ihm etwas zu Kopf 
gestiegen. Der Berliner ist nicht heimisch in seiner Vaterstadt, 
er fühlt sich unsicher in dem Glauben an seine heimischen Vor⸗ 
trefflichkeiten, das Fremde imponiert ihm. Der Wiener 
dagegen glaubt alles in höchster Vollkommenheit zu besitzen, 
und dadurch wird er 3. B. auf Reisen nörgelnd, mäkelnd, er 
hergleicht alles mit seiner heimischen Art und bekommt davon 
auch für zu Hause einen Schein von Prüderie und Selbstgefühl, 
der nicht eben wohltuend ist. Vollends hat sich die jüngere 
Generation unter anderen Bedingungen entwickelt als die alte. 
Die Ansprüche an die Existenz haben sich gesteigert, die Ver—⸗ 
gnügungen sind raffinierter geworden, die Verlegenheit, allen 
Ausschweifungen des Luxus und der Mode nachzukommen, 
oerbittert den Humor und macht die Stimmung nach einer 
ausgelassenen Lustigkeit am Morgen darauf verdrießlich. Die 
Wiener empfinden selbst, daß eine Veränderung mit ihnen vor— 
gegangen ist, und die ältere Generation ist darüber betrübt. 
Wieviel schöne, wohltuende Beispiele der alten Art habe ich 
noch angetroffen! Herzige, liebe Menschen voll Teilnahme und 
Güte. Aber sie sind goldene Ausnahmen von der allgemeinen 
Regel
	        
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