Volltext: Alt-Wien [72/73/74]

Gutzkow. 
—1845. 
.. Die Stadt ist schön, reizend, malerisch umschlungen von 
einem Arm der Donau. Das Glacis, vielleicht etwas zu breit, 
bietet den Luftströmungen den freiesten Durchzug. Die Vor⸗ 
städte haben alle etwas Charakteristisches, die eine mehr städtisch, 
die andre mehr ländlich. Kann man freundlicher wohnen als 
in der Leopoldstadt mit dem Blick über die belebte Brücke? 
Oder welche Stadt bietet eine solche Fernsicht, wie man sie von 
der Schotten- und Mölkerbastei über die Vorstädte, die Gärten 
und ins Gebirge genießt? An verschönernden Neubauten 
findet man größtenteils nur Wohnhäuser, wenig öffentliche; 
doch tragen die alten Denkmäler den Stempel der Ehrwürdig— 
keit. Das Innere der alten Häuser der Stadt ist massiv, meist 
dunkel und winklig, und doch fehlt es nicht an freundlichen Aus— 
sichten. Die Einrichtung der Häuser trägt einen eigenen 
Charakter. Wenn man an der Grenze Bayerns von Eleganz 
und Komfort der Wohnungen Abschied nehmen zu müssen 
glaubt, so wird man überrascht, im Oesterreichischen bald einen 
eigenen Stil der Zimmerverzierung zu finden. Wiens Komfort. 
erinnert an Italien. Man möchte annehmen, daß der Wiener 
Luxus von Paris über Mailand gekommen ist. 
Zur Verbindung der ungeheuren Distanzen, an welchen 
der Fremde in Wien keucht und verschmachtet und die auch dem 
Einheimischen für seinen Beruf störend sein müssen, ist noch 
wenig geschehen. Das Auge des ermüdeten Wanderers, der 
überdies noch an der Lokalunkenntnis leidet, sieht sich ver— 
gebens nach Omnibus um, die man für eine zu demokratische 
Institution der Franzosen zu halten scheint. Das Fiakerwesen 
ist aber Wiens partie honteuse. Die Wagen und Pferde sind 
vortrefflich, aber, die Kutscher sind die unausstehlichsten 
Geschöpfe der Erde. Sonderbar! In Oesterreich, wo alles der 
Taxe und Kontrolle unterworfen ist, läßt man die Wiener 
Fiaker im Zustand der Anarchie. Jede Fahrt, die der Fremde 
mit ihnen machen muß, wird ihm vor dem Einsteigen durch ein 
unverschämtes Ueberfordern und die ekelhafte Notwendigkeit, 
mit diesen Gaunern erst handeln zu müssen, verbittert. Wie 
geregelt sind diese Dinge in dem „anarchischen“ Paris, in 
dem „gemütlosen“ Bexlin! Wenn es wahr ist, daß man die 
Wiener Fiaker einer Taxe zu unterwerfen nicht wagt, so gäbe 
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