Volltext: Alt-Wien [72/73/74]

109 
Erst am 17. v. M. konnte ich von Breslau abgehen, da mein 
Reisegefährte, der Herr von Bergh, welcher Adjutant beim 
. Garderegiment, durch dienstliche Geschäfte verhindert war, 
früher zu kommen. Ich machte mittlerweile einen Besuch auf 
dem Schloß Briese, wo ich während der Topographie im 
Quartier gelegen, und wurde mit aller Freundschaft auf—⸗ 
genommen. 
Am Sonnabend, den 10., traf ich in der Morgen— 
dämmerung hier ein und stieg im „Goldenen Lamm“ auf der 
Jägerzeile ab. Schon früher einmal habe ich hier logiert, und 
auch Vater wohnte in diesem Gasthof. Aber das kleine Lamm 
ist seitdem ein ungeheurer Palast geworden mit einer 
prächtigen Aussicht über die Donau und die Bastei nach dem 
Stephan. 
Wien ist eine prächtige Stadt, schon weil sie krumme 
Straßen hat, denn nichts langweiliger als solcheng eraden, langen 
Straßen. Die krummen hat das B edürfnis allmählich entstehen 
lassen, solche Städte haben eine geschichtliche Vorzeit und 
sprechen das Gemüt an; die nach dem Lineal gezogenen sind 
von der Laune eines einzelnen hervorgerufen und uniformiert. 
Die Pracht der Läden ist außerordentlich, und man ist in be— 
srändiger Verführung, zu kaufen. Jedes Haus hat außer der 
Nummer ein Zeichen, und dieses ist oft sehr schön gemalt, daß 
man staunend davor stehen bleibt. Diese Schilder sind zum Teil 
oon ganz guten Meistern, und man könnte sie ohne weiteres 
in einer Gemäldesammlung aufhängen. Da steht „die Hofdame“ 
neben dem „weißen Wolfen“, der jüngere König von Ungarn“ 
und der „Ersbischof von Köln“ gegenüber dem „Amor“ und der 
„Jungfrau von Orleans“.. 
Das Zentrum der Stadt, die Downingstreet von Wien, ist 
der sogenannte Graben. An einem Palast siehst Du mit großen 
Buchstaben angeschrieben „Gunkel“. Gunkel ist die erste Nota⸗— 
bilität unter den Kleiderfabrikanten, die, sonst Schneider 
genannt wurden. Ich verfügte mich zu ihm behufs einer 
gonsultation en fait de toilette. Nachdem er einen prüfenden 
Blick auf meinen Anzug geworfen, wünschte Herr v. Gunkel zu 
wissen, bei wem ich arbeiten ließe. Ich nannte Kley in Berlin. 
— „Nicht übel,“ sagte der Künstler, „aber gänzlich verfehlt.“ 
Er wünschte mich dunkelgrün zu sehen, benachrichtigte mich, 
daß eine weiße Weste tragen eine Art Wahnsinn sei, und daß 
es nur eine alleinseligmachende schwarze Krawatte gebe.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.