Volltext: Sperrfeuer um Deutschland

Die Personen sind bereit. Das Regierungsprogramm muß erst festgestellt 
werden. Nochmals wird Zeit verloren. Die beschämende Verworrenheit aller 
staatsrechtlichen Verhältnisse verhindert die unbedingt in wenigen Stunden 
gebotene Einigung. Nichts ist fertig, alles muß erst geschaffen werden. Man 
muß über Belagerungszustand, über Zensur, Wahlrechtsreform, Achtstundentag, 
Sozialversicherung, Steuerreform und Einheitsstaat verhandeln, während im 
Augenblick nur eines erforderlich ist: die Herbeiführung des inneren Burg- 
friedens zur Abwehr nach außen. Die furchtbare Lage Deutschlands schreit nach 
der Regierung, die vor das Volk tritt, um ihm zu sagen, daß die bittere Stunde 
des verlorenen Krieges gekommen ist und daß nun das Vaterland von seinen 
Bürgern daheim und draußen die strengste Disziplin und den größten Opfer- 
sinn verlangen muß. 
Bitter wartet Ludendorff in Spaa auf die Entwirrung des parlamentari- 
schen Knäuels. Jeder Tag verschlechtert die Lage des Heeres. Jeder Tag kann 
zu verhängnisvollen Entschlüssen der Heeresleitung zwingen. Jeder Tag ver- 
schlimmert die Bedingungen, die wir von einem unerbittlichen Gegner zu er- 
warten haben. Aber nichts kann geschehen, bis die Regierung gebildet ist. Von 
Serbien her rücken die Alliierten gegen Ungarn. Die Österreicher haben sich von 
dem Bundesgenossen getrennt. Die Westfront hat, zu Tode ermattet, eben den 
Generalangriff der Entente noch einmal abgefangen. Schon bröckelt die Sieg- 
friedfront bei Cambrai. 
Am I.Oktober telegraphiert Ludendorff an den Reichskanzler die dringende 
Bitte, das Friedensangebot ohne Verzug hinausgehen zu lassen. Heute halte die 
Truppe noch, was morgen geschehen könne, sei nicht vorauszusehen. 
Gegen Abend wiederholt er seine Aufforderung noch dringender. Er glaubt, 
daß den Politikern in Berlin der Handel über ihr innerpolitisches Programm 
dringender ist als die Herbeiführung des Friedens, und er versteht das nicht. 
Der Reichskanzler antwortet, daß die Kabinettsbildung noch nicht fertig sei. 
Ob man denn nicht bis dahin warten könne. Ludendorff entgegnet, wenn die 
Bildung der Regierung noch irgendwie zweifelhaft sei, müsse er auf der sofor- 
tigen Herausgabe der Friedensnote bestehen. 
In Berlin ist man der Auffassung, daß Ludendorff unter dem furchtbaren 
Eindruck der Ereignisse die Nerven verloren habe. Man beschwichtigt ihn, 
morgen sei das Kabinett gebildet, in der Nacht auf übermorgen könne die Note 
abgesandt werden. 
Das Rabinett wird auch am 2. Oktober nicht gebildet. 
Da telegraphiert Ludendorff aus Spaa, die Armee könne nicht mehr acht- 
undvierzig Stunden warten. In der Nacht zum 3. Oktober, spätestens in der 
Frühe dieses Tages, müsse die Note auf dem Wege sein. Gleichzeitig läßt er 
durch einen Beauftragten in Berlin die Parteiführer nochmals über den töd- 
lichen Ernst der Lage unterrichten. „Deshalb darf keine Zeit verloren werden", 
läßt er sagen, „jede vierundzwanzig Stunden können die Lage verschlechtern 
und dem Gegner Gelegenheit geben, unsere augenblickliche Schwäche klar zu 
erkennen." Er schließt mit der Bitte, nun endlich in dieser allerletzten Stunde 
mit der Bildung einer nationalen Einheitsfront in der Heimat Ernst zu 
machen. Der Feind müsse wissen, daß er auf den unbeugsamen Willen Deutsch- 
469
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.