Volltext: Sperrfeuer um Deutschland

ungeheuren Dienst es Frankreich leisten würde, wenn der deutsche Aufmarsch 
auch nur wenige Tage in Verwirrung geriete. Der Reichskanzler erklärt dem 
Botschafter, Deutschland sei bereit, die Versicherung abzugeben, daß es selbst 
dann nicht an den Erwerb belgischer Gebiete denke, wenn Belgien sich auf die 
Seite seiner Gegner stelle. Aber es bedeute ein unmögliches Begehren, von 
Deutschland zu verlangen, daß es ohne Gegenwehr dem zu erwartenden fran- 
zösischen Aufmarsch durch Belgien hindurch zuschaue. 
Am Tage darauf spricht der Raiser im Berliner Schloß vor den Reichstags- 
abgeordneten das Wort: „Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche." 
Die Reden der Abgeordneten sind im Reichstag auf den furchtbaren Ernst der 
Lage abgestimmt. Es gibt keinen Mißton. Eine starke Erhebung ergreift das 
Haus, als auch die Sozialdemokraten entschlossen in die Einheitsfront der 
Parteien eintreten. Viele Abgeordnete sind bereits in feldgrauer Uniform. Die 
Rriegskredite werden fast einstimmig bewilligt. 
Reichskanzler von Bethmann Hollweg erhebt sich von seinem Sitz auf der 
Regierungstribüne. Mit abgehackten Korten gibt er eine Erklärung ab, die 
darin gipfelt, daß Deutschland sich genötigt gesehen habe, die Neutralität Bel- 
giens zu verletzen. 
Noch während der Sitzung vollzieht sich die Entscheidung. In TDahrheit ist 
es nur noch die Enthüllung eines schon bestehenden Zustandes. Der englische 
Botschafter erscheint in den Arbeitsräumen des Ranzlers im Reichstagsgebäude 
und bittet den Ranzler abermals um die Versicherung, daß Deutschland die bel- 
gische Neutralität achten wird. Der Kanzler kann nur erwidern, daß in dieser 
Stunde die deutschen Truppen bereits die belgische Grenze überschritten haben. 
Gleichwohl fügt er hinzu, Deutschland sei bereit, sich an seine letzten Erklärun- 
gen zu halten, wenn England neutral bleiben wolle. 
Der Botschafter zieht sich zurück. Abermals spielt der Draht zwischen Berlin 
und London. 
Drei Stunden später läßt sich der Botschafter in der Reichskanzlei melden 
und fordert eine Erklärung des Ranzlers, daß Deutschland sein Vorgehen in 
Belgien einstellen und seine Truppen zurückrufen wolle. Die Erklärung ist bis 
Mitternacht befristet. \Vird sie nicht abgegeben, so ist der Botschafter beauf- 
tragt, seine Pässe zu verlangen und abzureisen. Der Rrieg mit England ist da. 
☆ 
In den Vogesen, wo französische und deutsche Sicherungen längs der Grenze 
aneinandergeraten, wirft der erste Deutsche die Arme in die Luft und bricht, 
eine feindliche Gewehrkugel in der Brust, zu Boden nieder. Der erste Tote 
liegt zwischen den Gräsern. 
Ein paar leichte deutsche Rreuzer durchfurchen unter Volldampf die Ostsee, 
erscheinen vor Libau und schleudern ihre Granaten in den russischen Seehafen. 
Vorhuttruppen plänkeln an der ostpreußischen Grenze mit schnellen Rosaken. 
Noch sind die Armeen hüben und drüben im Aufmarsch begriffen. Unter 
Anspannung aller Rräfte kann er vor dem Ablauf zweier Wochen nicht beendet 
sein. Bis dahin durchzittert fieberhafte Ungeduld das Land, das seine Söhne 
hergegeben hat» 
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