Volltext: Sperrfeuer um Deutschland

Die erheblich verstärkten Luftstreitkräfte sicherten zum erstenmal, wenig- 
stens an den Hauptkampfstellen, die deutsche Überlegenheit in der Luft und 
gaben dem Soldaten im Graben ein Gefühl der Beruhigung und der Zuver- 
ficht. Besonders vorzüglich waren die Jagdstaffeln geschult. Der zu früh ge- 
fallene Hauptmann Boelcke hatte ihnen seinen Geist und seine Technik als 
Vermächtnis hinterlassen. Unter seinen Schülern glänzte schon Manfred von 
Richthofen als erster. 
Die Artillerie brauchte nicht mehr an Granaten zu sparen. Das Sperr- 
feuer, in vielen Proben nachgeprüft, klappte mit erfrischender Genauigkeit. 
Welch eine Entspannung für den Infanteristen im vorderen Graben, wenn er¬ 
sah, daß der Feind annähernd die gleiche Menge Granaten empfing wie er 
selbst. 
Aber die wichtigste Frage war — hatten die Truppen auch den Sinn der 
neuen Abwehrtaktik gefühlsmäßig begriffene Lag nicht ein ungeheures Risiko 
darin, daß man dem Soldaten im Gegensatz zu allen taktischen Grundsätzen 
der Vergangenheit nun einhämmerte: „Du sollst nicht in der vorderen Linie 
kämpfen, sondern um sie. Du sollst das Vorfeld beim feindlichen Großangriff 
durch geschicktes Ausweichen räumen und auf die weit dahinterliegende Haupt- 
widerstandslinie zurückgehen. Du sollst dich dem vernichtenden Hagel der vor- 
deren Feuerzone entziehen — nicht um diese Zone aufzugeben, sondern um sie 
im Gegenstoß wiederzunehmen." 
Eine ungeheure moralische Anforderung lag in diesem Grundsatz, der dem 
Soldaten das Zurückweichen zur Pflicht macht und ihn dann beauftragt, sich 
aufs neue in den Strudel hineinzustürzen. 
Noch mehr. Durch die schachbrettartige Verteilung der Abwehrpunkte über 
eine tiefe Zone löste man die frühere durchgehende Linie in einzelne Nester auf. 
Man kam der gefährlichen Tendenz des Großkampfes, die in der Zerlegung 
jeder Gesamthandlung in Einzelhandlungen bestand, absichtlich entgegen. Man 
zerstreute die TDiderstandsenergie der Führung auf zahlreiche kleine Punkte, 
die durch das Trommelfeuer erfahrungsgemäß isoliert wurden. Diese Tat- 
sache, die von dem einzelnen jetzt die Führerenergie forderte, die früher beim 
Kompanie- und Bataillonschef lag, war eine zweite moralische Forderung von 
ungemeiner Größe. 
Zum dritten. Man predigte den Bereitschaften, den Reserven und den zum 
Einsatz gelangenden Teilen der Eingreifdivisionen den „automatischen Gegen- 
stoß". Das heißt, sie durften nicht mehr abwarten, bis der Befehl ihrer Vor- 
gesetzten sie zum Angriff führte. Sobald sie aus eigener Anschauung der Dinge 
erkannten, daß der Feind die vordere Stellungszone besetzt hatte und daß es 
der Stellungstruppe nicht gelang, ihn aus eigener Rraft hinauszuwerfen, hatten 
sie in der vorher festgesetzten Richtung anzugreifen. Das war neben den For- 
derungen moralischer Art eine ebenso große von taktischer Bedeutung. Das 
Erkennen des richtigen Augenblicks, von dem so ungeheuer viel abhing, war 
dem Verständnis des Unterführers anvertraut, der durch falsches Verhalten 
das Leben seiner Truppe so gut wie das eigene aufs Spiel setzte und zudem 
das Gelingen des Gegenstoßes gefährdete. 
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