Volltext: Rußland

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X. Kapitel. 
Fragen nicht gelöst. Eine zusammenhängende und umfassende Nationa 
litätenpolitik hat die Regierung bis 1911 nicht gefunden, so daß es 
schwer, ja unmöglich ist, das geltende Nationalitätenrecht zu bezeichnen. 
Die allgemeinen Sätze sind freilich rasch wiedergegeben. Artikel 3 der 
Reichsgrundgesetze will die Sprachenfrage regeln; darin wird die russische 
Sprache zur „allgelneinstaatlichen", zur Reichssprache erklärt und als 
obligatorisch für Armee, Flotte und alle Reichs- und „gesellschaftlichen" 
(kommunalen) Behörden. Ter Gebrauch von Lokalsprachen und -Dialekten 
an diesen Stellen, — der also möglich sein soll —, sollte durch besondere 
Gesetze geregelt werden. Diese Sätze konnten zugunsten und zuungunsten 
der nichtrussischen Sprachen im Reiche gedeutet werden. Der Nationalis 
mus seit 1911 hat alle Bestimmungen zu ihren Ungunsten getroffen; 
weder ist ein einheitliches Sprachengesetz geschaffen worden, noch sind die 
nationalen Besonderheiten in anderen Gesetzen anerkannt oder in der Ver 
waltungspraxis geduldet worden. 
3. Das Zartum Polen. 
Die am weitesten nach Westen vorgeschobene Grenzmark des Reichs, 
das Zartum Polen oder nach amtlichem Ausdruck das Weichselgebiet, ist 
127 000 Quadratkilometer groß, also dem Flächenraum von Bayern, 
Sachsen, Württemberg und Baden gleich, und hatte am 1. Januar 1912: 
12,77 Millionen Einwohner (114,5 auf die Quadratwerst). Es bildete 
ein Generalgouvernement, von August 1905 bis Februar 1914 unter dem 
General G. A. Skalon stehend, und bestand aus 10 Gouvernements: 
Kalisch, Kjelze, Lomscha, Lublin, Petrikau, Plozk, Radom, Sjedlez, 
Suwalki und Warschau. 1912 ist aus Lublin und Sjedlez ein besonderes 
Gouvernement Cholm ausgeteilt und unter das Generalgouvernement Kiew 
gestellt worden. Die Gouvernements zerfielen, wie in Zentralrußland in 
Kreise, nur daß hier die Kreischefs, mit größeren Machtbefugnissen als die 
„Jsprawniks" im Reichsinnern, auch die Kreisverwaltung wahrnahmen, 
so daß Polen die geschilderte Lücke im Berwaltungsaufbau Rußlands nicht 
hatte. 
1897 wies die Volkszählung an Nationalitäten auf 6,75 Millionen 
Polen, 1,26 Millionen Juden, 407 000 Deutsche, 335 000 Kleinrusscn, 
310 000 Litauer (im Gouv. Suwalki), und 267 000 Russen, d. h. das
	        
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