Volltext: Rußland

IX. Kapitel. 
Von der Weltwirtschaft unabhängig machten und die deshalb die Not 
wendigkeit eisfreier Häfen verringerte, ist Rußland heute noch weit ent 
fernt. In jedem Falle sind ihm heute Häfen und Küsten elementare Be 
dürfnisse seines Lebens, das dadurch von der Möglichkeit der Ab- und Ein 
sperrung frei sein, dadurch der Verbindung mit den großen Straßen des 
Weltverkehrs dauernd sicher sein will. Vulgär, aber richtig gab die Nowoje 
Wremja dieses Empfinden und Wollen wieder: „Will Rußland seine 
historischen Aufgaben lösen, so braucht es den seiner Größe entsprechenden 
Zugang zum Meere, man darf nicht einem Volke von soviel Millionen 
den Rock zu eng zuschneiden und die Ärmel zunähen" — das ist eine 
Muschik-mäßige Formulierung des ersten Postulats russischer auswärtiger 
Politik. 
Diese ist Neumerkantilismus und Imperialismus, in gradliniger, 
niemals unterbrochener Entwicklung dieser Ideen seit der Moskauer 
Zeit. Sie ist auch in dem modernsten Sinne Weltpolitik, in dem diese 
alle Mittel physischer und wirtschaftlicher, staatlicher und militärischer 
Kraft für das Ringen ihres Staates um seinen Anteil an der Verteilung 
der Erde über ihren ganzen bewohnten und unbewohnten Raum hin ein 
setzt. Aber sie dankt es der Lage ihres Staates und der Geschlossenheit 
ihres Interessengebietes, daß sie nicht in dem Maße in der Gesamtheit der 
weltpolitischen Fragen engagiert zu sein braucht, wie etwa die englische 
oder deutsche Politik. 
Die Jagd nach der Grenze und der Drang nach den Meeren hoben 
zur gewaltsamen Angliederung von fremdartig gebliebenen Grenzmarken 
geführt, deren Stellung zum Kerngebiet große innerpolitische Probleme 
stellt. Die geographische Lage aber gab beiden Tendenzen sehr bestimmte 
Richtungen und ganz bestimmte Einzelobjekte. Nach Norden trat bis zum 
Eismeer niemand der Expansion in den Weg, aber sie stieß dorthin auch 
bisher ins Leere. Erst der Weltkrieg hat die Verbindung über Archangelsk 
und dann die Murmanküste zu einiger Bedeutung kommen lassen. Zur 
Ostseeküste war das erstrebte Verhältnis seit den Ereignissen, die die Ostsee 
provinzen und Finnland (das Glacis für Petersburg) für Rußland ge 
wonnen hatten, erreicht: „im 19. Jahrhundert war unsere Aufgabe, einen 
Zugang zur Ostsee zu gewinnen, beendet" (Kuropatkin). Aber darüber 
hinaus blieb der Blick nach Narwik, also über Skandinavien nach dem Welt 
meer, gerichtet, weil die Ostsee mit dem Schwarzen Meere das Schicksal teilt,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.