Volltext: Denkwürdigkeiten von Sankt Ursula in Linz

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In Uebereinstimmung damit steht der zweite Akt der Feier, 
die Vorführung des Königs vor das Volk. Es war nach dem 
heiligen Evangelisten Johannes ungefähr 11 Uhr vormittags: da 
begann der Krönungszug. Voran ging der Statthalter des römischen 
Kaisers, dann folgte der König der Könige, Jesus Christus; sonst 
niemand. Der Zug ging auf eine erhöhte Terrasse, von wo aus Jesus 
dem ganzen Volke gezeigt werden konnte. Ja, da unten stand das 
Volk in stummer Erwartung. Als nun der Heiland den Ort betrat, 
ernst, leidend, in gebeugter Haltung, Tränen, Speichel und Schwielen 
in seinem heiligen Antlitz, die schwere, tief in die Stirne eingedrückte 
Krone auf dem Haupte, da erfaßte selbst den Pilatus, wie es scheint, 
Mitleid und Entsetzen und als wüßte er nicht mehr, um was es sich 
handle, rief er dem versammelten Volke die Worte zu, die wie ein 
Monument heute alle Ereignisse der Weltgeschichte überragen: ecce 
homo! Und das Volk, wie außer alle Menschlichkeit geraten, wie von 
der Hölle aufgestachelt, rief aus einem Munde: „Fort mit ihm, ans 
Kreuz mit ihm!“ (Joh. 19, 15.) 
Ja, das war die Proklamation des Königs, das war das vivat, 
das Hochrufen des Volkes und als dann eine Weile später Pilatus, 
gleichsam an den Volkssinn, an das Nationalgefühl der Juden appel— 
lerend, hinausrief: euren König soll ich kreuzigen? da lautete die 
Antwort: „wir haben keinen König; nur den Kaiser.“ 
Und endlich folgte die Thronbesteigung. Ach, welche Thron— 
besteigung, welcher Thron! Er selbst hatte es von sich gesagt, daß er 
„erhöht werden müsse“ (Joh. 3, 14,) und „wenn er erhöht sein werde, 
werde er alles an sich ziehen“. (Joh. 12. 32.) Und so geschah es. Da 
hing der unendlich liebende König der Könige an seinem Throne, 
dem Kreuze, um die ganze Welt zu umspannen und zu umfangen 
und über seinem Haupte stand es geschrieben in drei Sprachen, auf 
daß die ganze Welt es lese, daß er König sitie. 
Das ist die Krönungsgeschichte des Königs der Könige, Jesu 
Christi. Fassen wir sie nochmals kurz in drei Worte zusammen: sie 
lauten: Schmerz, Blöße, Schmach. Hatte jeder König an seinem 
Krönungstage Freude und Lust, so hatte Christus Schmerz und 
Qual; eutfaltete jeder König an seinem Festtage Prunk und Pracht 
und Herrlichkeit und Reichtum: Jesus bestieg seinen Thron in Blöße 
und Armut; hat jeder König an seinem Thronbesteigungstage Ehre 
und Ruhm: Christus hatte Schmach und Spott und Hohn. Die 
Krönungsgeschichte unseres Herrn und Heilandes ist eine Leidens⸗ 
geschichte, ist die Passionsgeschichte selbbst. 
2. Wir haben damit, meine teuren Christen, den ersten Teil 
unserer Betrachtung abgeschlossen. Aber ungleich wichtiger ist es für 
uns nun im zweiten Teile, wie wir uns ausgedrückt, die Ideen 
und Gedanken dieser Krönungsgeschichte zu erwägen: sie 
werden uns in das Verständnis heiliger Geheimnisse einführen. 
Da ist es nun das erste, was wir zu erwägen haben, daß es der
	        
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