Volltext: Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes des Staats-Obergymnasiums in Krummau

wird nach drei Jahren Lehr- und Wanderzeit Meister. Doch eins ist nicht 
zu übersehen. Wenn auch das Äußerliche, die Repräsentation möchte ich 
sagen, geschwunden ist, das Kandwerk hat an und für sich speziell für die 
Reichenauer Weber in dieser Zeit die höchste kulturelle Bedeutung. Man 
braucht nur die sogenannten Erlaubnisscheine anzusehen. Von Azimau 
1779, von Wiitingau 1782, von Iandelsbrunn 1790, von Wadetstift 1792, 
von Steiregg bei Aohrbach in Oberösterreich 1793, von Oberhaid 1799, 
vom Kloster Schlägl 1794, vom Pflegeramte Rannaridl an der Donau 
1802, von der Kerrschast Sprinzenstein 1808 usw., von allen diesen Orten 
sind Untertanen nach obrigkeitlicher Erlaubnis zu Meistern in und um Reichenau 
hergewandert, um das Weberhandwerk zu erlernen. Das bezeigt, daß die 
hiesigen Weber einen weiten Ruf hatten. Doch nicht lange hielt sich das 
Kandwerk auf dieser Stufe.' Schon in den nächsten Jahrzehnten läßt sich 
der Abstieg bemerken. Eine Bestimmung nach der andern verlor sich. Die 
Meisterbriefe hörten auf. Wie aus den Eintragungen in dem schon 
erwähnten Verzeichnis zu ersehen ist, hat das Wort „Meister" die allge 
meine Bedeutung „Weber" angenommen. Es war nur noch eine Formel 
und auch diese schwand. Mitglied heißt es nur mehr. Und wie schon an 
anderer Stelle gesagt, jeder und jedes kann sich einkaufen. So stehen wir 
schon beim heutigen Tage. Nichts ist mehr von der einstigen Bedeutung 
und Macht da. Die Landwirtschaft hat dem Kandwerk den Rang abge 
laufen. Die einzige Reliquie von der ehrsamen Zunft ist noch die alte 
Zunftlade mit ihrem kostbaren Inhalt. Und noch eins lebt fort von alt 
dem und das sind einige Gebräuche, die treulich bewahrt bleiben. In 
jedem Jahr ist ein Tag, an dem die Lade geöffnet wird und neue Mit 
glieder eingetragen werden. Die Eingeschriebenen zahlen den Iahresschil- 
ling, 10 Kreuzer wie ehedem, doch der Zweck der Eintragung ist ein 
anderer geworden. Ich erinnere an die Stelle, wo es heißt: „als Anteil 
haber der hl. Messen". 
Für die Mitgliedsbeiträge werden Webermessen gelesen. Ferner 
wird bei jeder Prozession die große, schöne Weberfahne mitgetragen. Das 
Ganze ist eine Art kirchlichen Vereines geworden. Die Gottesverehrung, 
die einst Gebot war, ist heute Sache und Zweck zugleich. 
So steht jetzt der 300jährige Baum der Weberzunft kahl und ohne 
Mark da, und die mitleidige Zeit hat ihm zum Trost und zur Zierde ein 
Kreuz aufgeheftet. Doch ein kräftiger Trieb ist aus dieser Bildbuche 
gewachsen; eine Webereigenossenschaft hat das Erbe übernommen und
	        
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