Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

172 Die Entwi cklung der Schlachtlinie im Westen bis zum Kanal 
kehrenden achtzehn- bis dreißigjährigen Männer gefangen oder steckten sie gar zwangst 
weise in deutsche Uniform und schickten sie gegen die Russen*). Die deutschen Be 
hörden haben sich ausdrücklich verpflichtet, keinen bürgerlichen Flüchtling, gleichgültig, 
welchen Alters er sei, bei seiner Rückkehr zu belästigen, so lange er sich friedlich benehme. 
Aber es hatten unzählige Soldaten nach dem Fall Antwerpens ihre Uniformen und Waffen 
fortgeworfen und waren in bereit gehaltenen Zivilkleidern über die holländische Grenze 
geflohen. Diese will die deutsche Militärbehörde natürlich nicht im Lande haben, weil' 
die Tausende und Abertausende bürgerlich gekleideter, aktiv geschulter Soldaten und 
Offiziere eines Tages den deutschen Okkupationstruppen gefährlich werden könnten. 
Darum hat sich die deutsche Militärbehörde eine Prüfung des Militärverhältnisses der 
männlichen Rückwanderer vorbehalten. Sie sollen entweder in Holland interniert werden 
oder sie werden, wenn sie über die Grenze zurückkommen, als Gefangene behandelt und 
nach Deutschland geschickt. Dringend gewünscht wird die Rückkehr aller ruhigen Bürger, 
damit die bürgerlichen Verhältnisse wieder in den gewohnten Gang kommen. Es wird 
sogar angedroht, wenn die Ortsangesessenen nicht bald zurückkehren, müßte das Militär 
in den verlassenen Städten und Dörfern, vor allem aber in Antwerpen, die bisher mit 
Einquartierung verschonten verschlossenen Häuser ausbrechen und mit Soldaten be^ 
legen lassen. Auch wären Diebereien durch umh erstreisend es Gesindel zu befürchten. 
Die Holländer hegen die Besorgnis, daß unter den obwaltenden Umständen vornehm 
lich die begüterten Flüchtlinge zurückwandern, die armen dagegen ihnen zur Last bleiben 
könnten, so daß schließlich wohl eine zwangsweise Abschiebung ins Auge gefaßt werden: 
müßte. Bereits wird die Frage erörtert, ob England, das bisher knapp zweihundert 
tausend flüchtige Belgier aufgenommen hat, nicht noch einen Teil der Mittellosesten über 
nehmen könnte, die durchaus nicht unter die deutsche Okkupation zurückkehren wollen. Natür 
lich dürften es nicht verkappte, in Zivilkleidern steckende Soldaten sein, die dann auf dem 
Umwege über England wieder gegen Deutschland ins Feld geschickt würden! Kurzum 
die Lösung dieser Flüchtlingsfrage bildet eine schwere Sorge, namentlich für Holland. 
In Englano, wo die belgische Invasion hauptsächlich London heimsuchte, wurde bereits 
öffentlich der Vorschlag gemacht, die beschäftigungslosen Belgier, soweit sie ländliche 
Arbeit leisten können, zu Meliorationsarbeiten nach Irland abzutransportieren. Nach 
Holland sind unter anderem eine große Zahl von belgischen Eisenbahnangesiellten ge 
flohen. Während der Kampf um Antwerpen tobte, haben sie ihre sämtlichen Angehörigem 
und Freunde in lange Eisenbahnzüge geladen und sind mit ihnen über die holländische 
Grenze gedampft, und zwar trotz dem Emspruch und Gegenbefehl der holländischen Bahn 
beamten. Man scheute sich sogar , nicht, bei abgestellten Signalen zu fahren auf die 
Gefahr hin, mit holländischen Bahnzügen an der Greuze auf nicht freigegebener Strecke 
zusammenzurennen. Sie haben sich dann ihre Bahnwaggons als Familienlogis häuslich 
eingerichtet und wollen unter keinen Umständen zurück ohne einen ausdrücklichen Befehl 
der belgischen Regierung. Sie weigern sich sogar, ungeachtet der bestimmten Zusicherung, 
daß sie selbst frei nach Holland zurückkehren dürfen, mit ihren Zügen zunächst nur ihre 
Landsleute abzutransportieren, die heimwärts wollen. Sie lehnen es ab, überhaupt zu 
fahren, und wollen dem deutschen Feind keinen Dienst erweisen. Mit der gleichen Be 
gründung verweigern alle möglichen Arbeiter und Gewerbetreibende ihre Rückkehr und 
appellieren an die Großmut Hollands, um im Lande bleiben zu dürfen, worüber die 
Holländer bei allem Mitleid wenig erbaut sind. Denn ihre eigene Arbeiterbevölkerung 
und der Mittelstand selbst leiden schon unter Arbeitsmangel und Geschäftsstille. Vor 
läufig versucht man, die Belgier mit guten Zureden loszuwerden, unter der Versicherung,. 
*) Dieser Unsinn steht sogar in einem Gouvernementsbefehl des belgischen Generalstabs, dem 
man bei einem gefallenen belgischen Offizier gefunden hat.
	        
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