Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

D i e wirtschaftlichen Verhältnisse 
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aus keinen Fall aber die Rekrutenwerbung der Regierung zu unterstützen. Ferner hat sich 
unter Führung des früheren Unterrichtsministers im liberalen Kabinett, CH. Trevelyan, 
der mit seinen beiden Ministerkollegen Morley und Burns gegen die Kriegserklärung 
protestiert hat und aus dem Kabinett ausgeschieden ist (vgl. I, S. 140 und 317), eine 
neue Partei gebildet, die den Namen „The Union of Democratic Control“ (Vereinigung 
der demokratischen Kontrolle) angenommen hat. Die Führung der neuen Partei liegt 
neben dem Genannten in den Händen des bekannten Parlamentariers und Oberhauptes 
der linksradikalen Partei Ramsay Macdonald, sowie des Verfassers des berühmt ge 
wordenen Buches „Die falsche Rechnung" (the Great Illusion) Norman Angell; sie will 
durch eine tief ins Volk greifende Propaganda wirken und der gegenwärtigen Regierung 
kräftigen Widerstand entgegensetzen. Vor allem verlangt sie, um künftigen Kriegen vor 
zubeugen, daß — um mit Bernard Shaw zu reden — „diejenigen Menschen, von denen 
niemand recht weiß, was sie treiben, und die man Diplomaten nennt, nrcht auch in 
Zukunft das Leben der Völker regeln, führen oder auch nur beeinflussen sollen." 
Die wirtschaftlichen Verhältnisse 
Der Wirtschaftskrieg 
Die Hauptziele, die England in diesem Krieg verfolgt, sind, wie bereits (vgl. I, 
S. 148 ff. und 318 ff.) gezeigt wurde, die Unterbindung jeder Einfuhr nach Deutschland, 
die Verhinderung des deutschen Außenhandels und die Ausbeutung der durch dessen 
Ausschaltung geschaffenen günstigen „Konjunktur". 
Dem Zweck, Deutschland die Zufuhr abzuschneiden, dienen zunächst zahlreiche Aus 
fuhrverbote. Sie betreffen Kriegsmaterial, Lebensmittel (z. B. Kakao, zeitweilig 
auch Tee) und andere notwendige Gegenstände, vor allem Wolle und Wollwaren, Graphit, 
Metalle. Schon hierbei zeigte sich, daß die englische Regierung nicht im geringsten ge 
sonnen war, aus die Interessen der Neutralen Rücksicht zu nehmen; das Wollausfuhr- 
verbot z. B. brachte die schwedische und dänische Textilfabrikation in die mißlichste Lage. 
Das Verbot der Steinkohlenausfuhr nach Skandinavien ließ sich allerdings nicht ganz 
durchführen. Allen völkerrechtlichen Grundsätzen zuwider hat England ferner außer der 
reinen Konterbande (d. h. Waffen und unmittelbare Mittel der Kriegführung) alle 
Lebensmittel, Bekleidungsgegenstände und zahlreiche Rohstoffe, wie Erze, Kupfer und 
Oele, für bedingte Konterbande erklärt, d. h. sie werden beschlagnahmt, wenn sie für 
Deutschland bestimmt sein können. Die an Deutschland grenzenden neutralen Staaten 
werden dadurch natürlich ebenso stark betroffen wie ihr kriegführender Nachbar. Auch 
für die Ausübung der Prisengerichtsbarkeit hat sich England einen eigenen 
„Rechtsstandpunkt" geschaffen: die englischen Prisengerichte lassen weder den Geschädigten 
noch einen Vertreter seiner Sache zu, der Raubstaat bleibt also „Richter in eigener 
Sache". Dabei kümmert man sich auch nicht um die vermögensrechtlichen Ansprüche 
gänzlich unbeteiligter Personen, selbst neutraler Staatsangehöriger. 
Es ist ferner internationales Recht, daß neutrale Handelsschiffe nur im Fall der 
Blockade oder im feindlichen Hoheitsgebiet durchsucht werden dürfen. England maßt 
sich dies Recht nicht nur in der ganzen Nordsee an (die über dies Gebiet verhängte 
Sperre — vgl. II, S. 259 — wollte England selbst nicht als Blockade angesehen wissen), 
sondern zwingt die Schiffe sogar, sich zur Untersuchung nach englischen Häfen zu begeben, 
ein Verschleppungsverfahren, das dem neutralen Handel schon schweren Schaden zugefügt hat. 
Auch die erwähnte Sperrung der Nordsee ist völkerrechtlich betrachtet eine Un 
geheuerlichkeit. Unter dem Vorwand, die Gewässer seien durch deutsche Treibminen ver 
seucht, wird die ganze neutrale Schiffahrt an einen bestimmten Weg gebunden, der
	        
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