Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

250 Frankreich während des ersten Kriegshalbjahres 
Niemals sei Frankreich größer gewesen als in dieser heiligen Stunde. Niemals und in 
keinem Lande hätte man einen prachtvolleren Ausbruch patriotischer Tugenden wahr 
nehmen können. Frankreich verteidige nicht bloß sein Leben, sein Land und seine ge 
heiligten Erinnerungen, sondern im Verein mit seinen Verbündeten kämpfe es auch 
für die Unabhängigkeit Europas, für die menschliche Freiheit. Deshalb werde es bis 
zum Aeußersten seine Pflicht tun, um den Wahrspruch seiner Rasse zu verwirklichen: 
„Recht geht vor Gewalt." 
Der Ministerpräsident Viviani verlas hierauf die Erklärung der Regie 
run g, die nach dem Bericht der „Agence Havas" folgendermaßen lautete: „Es gibt zur 
Stunde nur eine Politik: Erbitterten Kampf bis zur vollständigen Befreiung Europas, 
besiegelt durch einen vollständig siegreichen Frieden! Das ist der einstimmige Ruf des 
Parlaments, des Landes und des Heeres. Deutschland wurde durch dieses ihm uner 
wartete Aufflammen der nationalen Gefühle Frankreichs in der Trunkenheit seiner Sie 
gesfreude gestört. Zu Beginn des Konfliktes verletzte es das Recht, wandte Gewalt an 
und mißachtete die Lehren der Geschichte. Um Belgien zu vergewaltigen und Frankreich zu 
überfallen, berief es sich einzig auf das Gesetz der Nützlichkeit. Seitdem die deutsche 
Regierung aber eingesehen hat, daß man der öffentlichen Meinung der Welt Rechnung 
tragen muß, hat sie, jedoch vergeblich, versucht, die Verantwortung für den Krieg auf 
die Verbündeten abzuwälzen. Alle von den beteiligten Nationen veröffentlichten Doku 
mente, und neulich noch die sensationelle Rede eines der berühmtesten Söhne des 
ewigen Italiens legen Zeugnis ab von dem längst gefaßten Beschlusse der Feinde, einen 
Gewaltstreich zu versuchen." 
Die Regierungserklärung erinnert dann daran, daß Frankreich und Rußland am 
31. Juli 1914 den englischen Vorschlägen zugestimmt hatten, die militärischen Vorbe 
reitungen einzustellen und in London Verhandlungen anzuknüpfen. Hätte Deutschland 
zugestimmt, so wäre der Frieden selbst in dieser letzten Stunde noch gerettet worden. 
Deuffchland habe jedoch den Knoten durchhauen und den Krieg unvermeidlich gemacht. 
Wie es damals diplomatisch den Frieden im Keim erstickt habe, habe es auch während 
mehr als 40 Jahre unermüdlich das Ziel verfolgt: Frankreich zu vertilgen, um die Welt 
zu unterjochen! Alles dies werde dem Tribunal der Geschichte unterbreitet werden, das 
keine Bestechung kenne. Da so Frankreich und seine Verbündeten trotz ihrer Friedensliebe 
den Krieg hätten auf sich nehmen müssen, würden sie ihn auch zu Ende führen. „Treu seiner 
Unterschrift auf dem Vertrage vom 4. September 1914, wo Frankreich seine Ehre, das 
heißt sein Leben verpfändet hat, wird es die Waffen erst niederlegen, wenn das verletzte 
Recht gerächt, wenn die dem französischen Vaterlande mit Gewalt entrissenen Provinzen 
ihm für immer wieder angeschmiedet sind, wenn das heldenhafte Belgien in die ganze 
Fülle seines wirtschaftlichen Lebens und seiner politischen Unabhängigkeit wieder ein 
gesetzt ist, wenn der preußische Militarismus zerbrochen ist, wenn auf der Grundlage der 
Gerechtigkeit sich endlich ein neues Europa aufbauen kann. Daß wir des Erfolges gewiß 
sind, verdanken wir dem Heere und der Flotte, jener Flotte, die vereint mit der eng 
lischen uns die Herrschaft über die See sichert, jenen Truppen, die in Marokko die un 
ermüdlichen Angriffe zurückschlugen, jenen Soldaten der Kolonien, die seit dem ersten 
Tage des Krieges mit begeisterter Anhänglichkeit in ihre Heimat zurückkehren. Wir ver 
danken dies unserem Heere, das in seinem Heldenmute von unvergleichlichen Führern zum 
Siege an der Marne, zum Siege in Flandern und in anderen ungezählten Kämpfen geführt 
wurde. Wir verdanken dies der Nation, die Einigkeit, Ruhe und Gelassenheit in diesen 
kritischen Stunden mit unvergleichlichem Heldenmute zu vereinigen wußte. Wir haben 
der Welt zu zeigen verstanden, daß die organisierte Demokratie durch tatkräftiges Han 
deln ihrem Ideal der Freiheit und Gleichheit, das chre Größe ausmacht, zu nützen der-
	        
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