Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

98 Die Kämpfe an der Westfront bis Mitte Januar 1915 
her, auf allen Vieren, wie Schwimmer auf gelben Wogen. Dann und wann ein un 
geheures Geschrei: ein Angriff, ein Handgemenge, ein kleiner Schritt vor oder zurück." 
Zu bemerkenswerten Ereignissen ist es bis Mitte Januar hier oben in den Dünen 
nicht mehr gekommen. Die häufigen von Nieuport aus unternommenen Angriffe wur 
den abgewiesen. Nur das Gehöft St. Georges ging den Deutschen verloren. Die 
französische Berichterstattung hat aus diesem nebensächlichen Vorkommnis natürlich 
einen glänzenden Waffenerfolg der Verbündeten gemacht. In einem amtlichen fran 
zösischen Resümee vom 8. Januar 1915 heißt es: „St. Georges war vom Feinde zu einer 
eigentlichen Feldschanze hergerichtet worden. Die einzige von der Ueberschwemmung 
unberührte Straße war durch Drahtverhaue geschützt. Unsere Marinesoldaten, Chasseurs 
und Velofahrer, rückten gegen das Dorf vor, indem sie auf der Straße mit der Sappe 
eine Art Laufgraben aushoben. Am 27. Dezember gelangten wir so bis zum Hause des 
Fährmanns, das nördlich von St. Georges liegt. Am folgenden Tage erfolgte der 
Sturmangriff. Trotz heftigem Feuer gelang es einigen Marinesoldaten, ein Geschütz 
auf ein kleines Fahrzeug und dann auf den Deichen nur wenig entfernt von den Häu 
sern von St. Georges in Stellung zu bringen. Die Häuser wurden darauf zusam 
mengeschossen. Gleichzeitig rückten die Belgier vor und eine Abteilung von Marine 
soldaten, die zu Schiff von Ramscapelle herkam, richtete sich in zwei Gehöften ein, von 
wo ihr Feuer die deutschen Verteidiger von St. Georges in der Längsrichtung bestrich. 
Die in den Laufgräben unter der Straße befindliche Infanterie ging dann zum Sturm 
angriff über. Die letzten deutschen Seesoldaten, die in St. Georges waren, ergaben sich 
darauf. In den Trümmerhaufen des Dorfes fand man dreihundert Leichen. sVon Deut 
schen oder von Einwohnern?^ Wir konnten uns in St. Georges festsetzen, trotz der 
Gegenoffensive der Deutschen. Am 30. Dezember fielen viertausend Granaten auf das 
Dorf und die Abdeckungen unserer Schützengräben. Vier Kolonnen rückten quer durch die 
Schlammbänke heran. Sie wurden aber durch das Feuer unserer Soldaten aufgehalten." 
Dem französischen Bericht soll die Schilderung eines deutschen Mitkämpfers — 
A. H. Zeiz, Mitarbeiter des „Berliner Tageblatts" — folgen. Er schreibt: 
„Drei Kilometer südwestlich von Lombardzyde, wo der Kanal von Passchendaele, der 
Brügge mit Nieuport verbindet, in den Merkanal mündet, liegt der Weiler St. Georges. 
Bis vor wenigen Tagen war er in unserem Besitz, jetzt haben ihn die Engländer zurück 
erobert. Morgen ist er vielleicht wieder in unseren Händen. So geht es hin und her. 
St. Georges ist ein Trümmerhaufen geworden, ein Trümmerhaufen, der inmitten 
eines Friedhofes liegt. Zu dem Ort führt nur ein schmaler Dammweg zwischen 
riesigen Ueberschwemmungsseen. Und immer wieder versuchen unsere Matrosen, 
über diesen Damm in den Ort zu stürmen. Unsere Granaten, die verschiedenen 
Kaliber unserer schweren Artillerie, krepieren jetzt in dem Dörfchen, ruhelos, Tag 
und Nacht, und ebenso ruhelos bestreichen von drei Seiten die französischen und eng 
lischen Maschinengewehre den Dammweg. Denn die Gegner sind in ständiger Angst, 
daß unsere blauen Jungens das elende Nest wieder nehmen könnten. Sie liegen auf der 
Lauer: Tak—tak—tak — mit unheimlichem Phlegma knacken die englischen Maschinen 
gewehre, dazwischen „tuckern" nervös die Franzosen, und so furchtbar, so undurchdring 
lich ist dieses Feuer, daß kein einzelner Mann unverwundet über den Weg gehen kann. 
Der Wind, der von St. Georges herüberkommt, bringt Gerüche von verwesenden 
Leichen mit. Er trägt das Stöhnen von Verwundeten, die hilflos am Wege liegen, und 
denen des Feuers wegen nicht geholfen werden kann, er trägt das heisere Schreien und 
Husten der Afrikaner und Inder, die hoffnungslos hier dem naßkalten Klima erliegen. 
Wir hören diese Stimmen des Todes in der hellen, nebligen Nacht und denken an — 
unsere Lieben in der Heimat.
	        
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