Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Der flandrische Kriegsschauplatz 
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Der Stellungskrieg 
So war der Krieg auch in Flandern von Mitte November 1914 ab in das S t a d i u m 
des Stellungskampfes eingetreten. In einer Beschreibung der Kämpfe der 
ersten Dezembertage, die der „C o r r i e r e d e l l a Sera" aus dem englischen Haupt 
quartier erhielt, heißt es, der Kanonendonner sei jetzt so vermindert, daß man im Vergleich 
mit dem Getöse vor einigen Wochen fast an Friedenszeit denken könne. Auch in Flandern 
habe der Kampf, wie an der Aisne, den Charakter einer Belagerung angenommen; er 
werde unterirdisch geführt. Die Deutschen griffen nicht mehr im offenen Felde, 
sondern in Zickzackgräben an, deren Bau zu beobachten schußbereite Gewehre verhindern. 
Nur den Kopf der Schanze könne man an der herausgeworfenen Erde erkennen. Aber 
auch dies sei nicht mehr möglich, wenn es sich um blinde Schanzen handle. Auf diese 
Art kämen die Feinde in so nahe Berührung, daß Geschütze an den Gefechten nicht teil 
nehmen könnten, ohne die eigenen Truppen zu gefährden. 
Die „Dünenschlacht", die sich im äußersten Norden zwischen dem Ueberschwem- 
mungsgebiet und dem Meer abspielte, schildert Luigi Barzini im „Carriere della Sera". 
„Das Merkmal dieser Schlacht," schreibt er, „ist die Unbeweglichkeit. Die Stunden, die 
Tage gehen vorüber, und die Stellungen ändern sich nicht merklich. Die Gegner nähern 
sich um Zentimeter. Die kurzen Stürme setzen schleichend ein, nach langen Vorbereitun 
gen. Die Einnahme eines Schützengrabens ist mühevoll wie die Eroberung einer 
Festung. Ganze Bataillone können hingemäht werden auf hundert Meter Zwischen 
raum; die Entfernungen erhalten so einen ungeheuren Wert, ein Meter rechnet hier so 
viel wie ein Kilometer in der offenen Schlacht. Das Ziel einer langen Operation kann 
eine Verschanzung in Stimmweite sein, der Heldenmut alter Garden ist oft nötig, um ein 
Stück Wiese oder einen Grabenrand zu erobern. Die Verschiebungen sind für einen 
fernstehenden Beobachter mit dem Auge nicht wahrnehmbar. Die Bewegungen haben 
die Spanne als Längenmaß und den Tag als Zeitmaß. Es ist der Krieg der Giganten 
mit der Taktik der Liliputaner.... Als ich zum ersten Mal in die tiefen Gräben in der 
Gegend von Lombardzyde kam, waren dort seit Tagen belgische, französische und deutsche 
Truppen im Sande vergraben und kämpften mit Löwenmut, ohne daß man auf der 
Landkarte eine merkliche Verschiebung hätte aufzeigen können. Bei einem Ringkampf, 
wenn die beiden Ringer sich packen, sich drücken und sich niederzuzwingen suchen, er 
scheinen die beiden Körper unbeweglich; sie zittern, vibrieren, aber sie rühren sich nicht 
vom Fleck; trotzdem ist das Ringen reich an Wechselfällen, die Kraftanspannung ändert 
sich, geht von einem Glied zum andern über, wird an der einen Seite geringer, um an 
der entgegengesetzten plötzlich verdoppelt einzusetzen; die Muskelgruppen bereiten Hinter 
halte vor, und bei dem anscheinenden Stillstand treten Finten und Ueberraschungen 
ein; eine verwickelte, tatkräftige Taktik entfaltet sich in einem heimlichen Spiel der 
Sehnen, der Kampf wird ganz innerlich, reich an unmerkbaren Abenteuern, die bei 
aller statuarischen Festigkeit der Ringer unter der feuchten Haut aufeinander folgen. 
So verbirgt sich in der Erde die heiße, furchtbare Schlacht, wenn die Heere gegeneinander 
drängen wie in den Schützengräben und zwischen den Dünen von Lombardzyde. Die 
Kampflinien scheinen unbeweglich, und trotzdem hat jeder Winkel seine Zwischenfälle, 
jeder Abschnitt seinen Sieg oder seine Niederlage. Angriffe und Gegenangriffe haben 
zum Ziel den Gipfel einer Düne, einen Straßenrand, einen Mauervorsprung. Die 
Kämpfer befestigen ihre Stellungen mit Stahlplatten, in denen Schießscharten sind, die 
Soldaten schieben ihren kleinen Panzer vor, Verschiebungen von Kräften, Zusammen 
ziehungen, Umgehungen werden mit unendlicher Langsamkeit kletternd, gleitend, 
kriechend ausgeführt. Halb eingetaucht in den Sand kriechen die Soldaten hintereinander 
Völkerkrieg. Ul. 7
	        
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