Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

88 Die Kämpfe an der Westfront bis Mitte Januar 1915 
Bei Beginn der Iserschlacht besetzten die belgischen Truppen das rechte Ufer; sie hatten 
alle Zugänge nach Nieuport durch Verteidigungsoorrichtungen versperrt, die man mili 
tärisch als Brückenkopf bezeichnet. 
In dem drei Kilometer vom Meer entfernten Nieuport fließt ein Netz von Kanälen 
und Flüssen zusammen, die sich in einer einzigen Mündung ins Meer ergießen; auch ver 
einigen sich hier von allen Seiten zahlreiche Straßen. Straßen und Kanäle kreuzen sich 
in Nieuport, das infolgedessen eine sehr brückenreiche Stadt ist. Wer im Besitz von 
Nieuport ist, hat sämtliche Uebergänge über die Iser von Pervyse bis zum Meer in 
Händen. Die Deutschen mußten es also haben und wollten um jeden Preis hinüber; 
überdies erkannten sie, daß dort der schwächste Punkt der gegnerischen Front war. Durch 
Massenangriffe niedergerungen — furchtbare Fluten von Eisen, Feuer und Blut waren 
über sie hiniveg gebrandet — mußten die Belgier über die Äser zurückgehen, den Brücken 
kopf preisgeben, den Fluß zwischen sich und dem Feind als Grenze lassen und den 
Uebergang vom linken User aus verteidigen. Es entspann sich ein erbitterter Kampf. 
Auf die belgischen Stellungen rauschte ein ununterbrochener Hagel von Granaten 
und Schrapnells nieder. Die Stadt wurde in Brand geschossen und sank in Trümmer. 
Das Spiel schien für die Verteidiger verloren, als eines Morgens das Meer von einem 
Donnergeheul widerhallte; englische Monitore traten in Tätigkeit. 
Die Schiffskanonen beschossen die feindlichen Stellungen in der Flanke. Der deutsche 
Angriff mußte seinen Schwerpunkt von der Küste weg nach Süden verlegen; die deut 
schen Truppen mußten sich eingraben und in tiefen Laufgräben Schutz suchen; ihre 
Batterien nahmen Deckung und verschwanden aus dem Sehbereich der Schiffe, vereinigten 
aber ihr Fener auf Ramskappelle, das drei Kilometer südlich von Nieuport gelegen 
ist. Die Schlacht floh vor dem Meer. Unterdessen waren deutsche schwere Geschütze aus 
Ostende angekommen und wurden zur Küstenverteidigung eingegraben. Es waren Schiffs 
kanonen, von Seesoldaten der deutschen Marine bedient, die jetzt den Monitoren antworteten. 
Während am Strande die schweren Geschütze donnerten, ging der Angriff an der 
Mer mit unverminderter Heftigkeit weiter. Unter dem Schutz ihrer Artillerie, ungeachtet 
aller Verluste, überschritten die Deutschen endlich den Fluß. Das völlig zerschossene 
und zerstörte Ramskappelle wurde nach einem verzweifelten Straßenkampf genommen. 
So war Nieuport vom Süden her umgangen. Der Angreifer ergriff vom linken Iser- 
ufer Besitz: der Weg für den Vormarsch auf Dünkirchen schien offen. Die von den 
Verbündeten den Belgiern versprochene Hilfe ließ lange auf sich warten. Der deutsche 
Vorstoß bedrohte alle wichtigen Punkte: Dixmuiden, Ipern, La Baffse und Arras. 
Man mußte den menschlichen Damm in seiner ganzen Ausdehnung verstärken. Reserven, 
unberittene Kavallerieregimenter, Territorialtruppen, alle irgendwie verfügbaren Kräfte 
wurden in atemloser Hast an die Front geworfen. England beschleunigte fieberhaft den 
Nachschub frischer Regimenter. Möchten doch die Belgier nur ein wenig noch ausharren!.. - 
Da riefen die Belgier das Meer zur Hilfe. 
Das Meer ist ein alter Verteidiger Flanderns. Es ist ein grausamer, verheerender 
fürchterlicher Bundesgenosse, wenn es sich schirmend über die bedrohte Erde legt. Es 
hat beinahe an allen flandrischen Belagerungen teilgenommen. Land und Wasser stehen 
in Flandern in einem geheimnisvollen Bund. Sie lägen im gegenseitigen Kampf, wür 
den willkürlich ihre Lage verändern und in ungeheuren, beweglichen Sümpfen sich ver 
mischen, hätte ihnen nicht der Mensch ein Gesetz gegeben. Das flache Küstenland wird 
von einem unabsehbar dichten Netz von Kanälen und Gräben durchfurcht, durch die der 
Lauf des Wassers geregelt wird wie der Blutkreislauf in einem lebenden Körper. In 
der Nähe des Meeres, nahe ihrer Mündung, haben die Kanäle Schleusen, die sich beim 
Einbruch der Flut den Waffermaffen entgegenstemmen. Wenn die Flut kommt, schließen
	        
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