Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

D i e wirtschaftlichen Maßnah men bis Mitte Jannar 1915 57 
bisher keine Schwierigkeiten gemacht. Die Baumwollzufuhr ist freilich durch die Ab 
sperrung zurückgegangen. Aber da sich die Baumwolle verarbeitenden Industrien vor 
dem Kriege in einer Krise befanden, waren die Vorräte an Baumwolle, die nicht 
hatten verarbeitet werden können, ziemlich bedeutend. Es haben sich daher bisher nicht 
einmal die Besorgnisse einiger Aerzte, daß der Mangel an Baumwolle einen Mangel an 
Verbandstoffen zur Folge haben könnte, als begründet erwiesen. Uebrigens hat auch in 
dieser Hinsicht die Not erfinderisch gemacht und die Holzstoffindustrien angeregt, Baum- 
woll- und Wollerzeugniffe durch Holzstofferzeugnisse zu ersetzen. Man hat 
sich dabei auch von der Erfahrung, die die Japaner mit dem Papier als Kälteschutz 
mittel gemacht haben, leiten lassen. So werden jetzt nicht nur papierene Fußlappen, 
Socken, Unterhosen, Leibchen zum Schutze gegen Kälte hergestellt, sondern auch Holzstoff- 
watte erzeugt, die sich dank ihrer Weichheit und Isolierfähigkeit ebenso als Einlagen für 
Unterkleidung und Kissen wie als Ersatz für Verbandwatte eignet, und den Vorzug hat, 
billig und in unbegrenzten Mengen im Lande selbst herstellbar zu sein." 
„Die alten Kriegsindustrien sind selbstverständlich vollauf beschäftigt, so die Kon 
servenfabriken, die Schokoladen- und Keksfabriken, die vielerlei Montierungs- und Aus 
rüstungsanstalten, vor allem die Waffen- und Munitionsfabriken. Diese ungeheure Be 
triebsamkeit erfordert fast mehr Arbeitskräfte, als zur Verfügung stehen. Von Arbeits 
losigkeit ist daher im ganzen Lande nichts zu spüren, und die Bettelei hat fast völlig 
aufgehört, zumal da auch aus dem Lande die verminderten Arbeitskräfte angestrengt zu 
tun haben, das Feld zu bestellen und das Vieh zu versorgen." 
Natürlich haben, nach Charmatz, gleichwohl viele Betriebe ihre Tätigkeit vermindert, 
sind auch im Handel nennenswerte Entlassungen vorgekommen. „Verschiedenen Gruppen 
von Kleingewerbetreibenden geht es schlecht. Aber auch der Krieg schafft seine 
Ordnung, und allmählich vollzieht sich die neue Regelung, die das Uebel vermindert. 
Es sei noch erwähnt, daß auch in Oesterreich-Ungarn der Staat für die Familien 
angehörigen der aus dem Erwerbsleben gerissenen Vaterlandsverteidiger sorgt." 
Wie zuversichtlich die Industrie Oesterreich-Ungarns der Zukunst entgegensieht zeigte 
eine Versammlung der Industriellen Oesterreichs, die am 22. November 1914 
in Wien tagte und einstimmig und mit Begeisterung eine Entschließung annahm, nach 
der die österreichische Industrie voll unerschütterlichen Vertrauens dem endgültigen Siege 
der Waffen der verbündeten Kaiserreiche entgegensehe. Die österreichische Industrie sei 
auch für eine lange Kriegsdauer gewappnet. Sie müsse, könne und werde den Krieg 
wirtschaftlich aushalten und durchhalten! 
Auch die von den Feinden Oesterreich-Ungarns schon so oft angekündigte Hungers 
not ist immer noch nicht im Reiche ausgebrochen. Die Monarchie leidet ganz und gar 
nicht Mangel an Fleisch und sonstigen Lebensmitteln. Der Landwirtschaft 
geht es recht gut. Die Ernten konnten vollständig eingebracht werden und die hohen 
Preise verbürgen reiche Erträgnisse. Der Agrarchemiker Stoklasa, Professor an der 
Prager Technischen Hochschule, schreibt in der „Neuen Freien Presse", in Oesterreich- 
Ungarn und Bosnien befinde sich nach seinen Zusammenstellungen eine solche Menge 
Vieh, daß der Fleischbedarf Oesterreich-Ungarns, das im Fleischverbrauch unter allen 
Staaten an achter Stelle stehe, vollständig gedeckt sei und daß die Monarchie genügend 
Lebensmittel für das Jahr 1915 besitze, ohne auf die Einfuhr aus andern Ländern an 
gewiesen zu sein. Wenn schließlich ein Teil der außerordentlich großen Rübenanbau 
flächen mit Brotfrüchten bebaut würde, wäre auch bei einer längeren Dauer des Krieges 
nicht der geringste Grund zu Besorgnissen vorhanden. 
Natürlich wird dafür gesorgt, daß mit den Vorräten gespart wird. Aber zu hungern 
braucht darum noch niemand. Nicht einmal die Preise sind sonderlich gestiegen. Fleisch
	        
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