Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

144 Die Entwicklung der Schlachtlinie im Westen bis zum Kanal 
Moment! Dann durchriß ein furchtbarer Knall die Luft, und der erste Zuckerhut unserer 
schweren Artillerie flog in das Fort und zermalmte, was ihm im Wege stand. Ein 
zweiter und ein dritter folgte, und plötzlich schlug eine Granate heulend und dröhnend 
auch unter die Geschütze auf der Pappelallee ein. Ein metertiefes Erdloch bezeichnete 
die Stelle, wo eben noch eine Batterie gestanden hatte und mit angstverzerrten Gesichtern 
lief die übrige Mannschaft auf und davon. Vergebens beschwor der General die Leute, 
weiterzufeuern, da ja das Schicksal der Stadt von der Tätigkeit der Artillerie hier oben 
abhänge. Schlotternd vor Furcht standen sie da und zeigten nur immer wieder auf die 
Hexenkessel, die jeder einzelne Schuß der feindlichen Artillerie in den Erdboden grub. 
Und dann kam der Bürgermeister von Mezieres und beschwor den General, den ver 
dammten Preußen doch die Stadt zu übergeben, da unten in den Schützengräben auch 
die Infanterie vor den Teufelsgeschossen ihr Heil in der Flucht gesucht habe und sonst 
nur noch die Stadt selbst zerschossen werden würde. Und da neigte der alte Komman 
dant sein Haupt tief, bat den Maire, einen Augenblick zu warten und ging in seine 
bescheidene Wohnung im Fort hinüber. Nach wenigen Augenblicken hörte man einen 
Schuß; aber der klang nur ganz leise und fegte nicht eine ganze Batterie hinweg. Und 
dem, den die Kugel traf, brachte sie die Erlösung von einem als unerträglich empfun 
denen Zustand, der Erkenntnis, daß die alte Gloire auch mit diesem Kriege dem Vater 
land nicht wiederbeschert werden würde. Und so starb er, um Schlimmeres nicht mehr 
mitansehen zu müssen. Deutsche Soldaten haben ihm sein Denkmal gesetzt und ihr höchstes 
Ruhmeszeichen dran geheftet. Wer wollte nicht an diesem schlichten Hügel zum Abschied 
den Hut ziehen und den Tapferen da unten grüßen: „Adieu, mon General!“ 
Von der Marne 
Aus Feldpostbriefen 
Ein Hochschullehrer, der als Leutnant in einem Pionierbataillon steht, schreibt an 
seine Angehörigen: „Nun will ich auch eine kleine Anekdote aus meinem Kriegerleben 
erzählen, die weder erfunden, noch aufgeschnitten ist. Auf unserem Vormarsch erhielt 
ich den Befehl, mit fünfzehn Radfahrern zur Marne vorzufahren und zu erkunden, ob 
die Marnebrücke vom Feinde frei und unzerstört sei. Falls ich die Brücke erreichte, 
sollte ich mich verbarrikadieren und die Brücke möglichst halten. Die Entfernung von 
der Spitze unserer Division bis zu der Brücke betrug zwanzig Kilometer. Ich fuhr mir 
meinen Radfahrern los, spähte überall nach dem Feind nnd kam ohne Behinderung an 
die Brücke heran. Sofort lasse ich alle Telefon- und Telegraphendrähte der Bahn und 
Post zerschneiden, die Bahnlinie unterbrechen und befestige das Brückenhäuschen durch 
Sandsäcke zur Verteidigung. Der Zufall wollte, daß sich die französischen Landwehrleute 
aus der dortigen Gegend an diesem Tage im nächsten Ort am jenseitigen Ufer stellen 
mußten und die Brücke passieren wollten. Es waren weit über hundert Leute. Für 
mich kam es darauf an, die Brücke für den Uebergang der Division etwa sechs Stunden 
lang zu halten. Schnell entschlossen erklärten wir den Franzosen, wir seien eine eng 
lische Radfahrerpatrouille und müßten bis sieben Uhr abends die Brücke für jeden Ver 
kehr sperren, damit die englischen Truppen ungehindert passieren könnten. Die Barri 
kade baue ich zur Sicherung gegen etwa ankommende Deutsche. Die Leute glaubten mir 
auch tatsächlich den Schwindel, und als ich ihnen als unseren Freunden herzhaft die 
Hand drückte und auf die Deutschen schimpfte, beherrschte ich die Situation. Sie er 
zählten, daß zwei Kilometer westlich eine englische Brigade biwakiere und einige Kilo 
meter östlich eine französische Kavalleriediviston stände. Das beste war, daß die Leute 
dann alles im Ort austrieben, was es an Essen und Trinken gab. Sie brachten Beef 
steaks und Champagner und verpflegten mich und meine Radfahrer in bester Weise.
	        
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