Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

34 Das deutsche Volk während des ersten Kriegshalbjahres 
mußte die Ernte schleunigst eingebracht werden, da infolge der vielen militärischen Ein 
berufungen und des Abzuges der ausländischen Wanderarbeiter ein empfindlicher Leute 
mangel eingetreten war. Sofort suchte man in allen Bevölkerungskreisen Erntehelfer 
mobil zu machen. Die Landwirtschastskammern, die deutsche Feldarbeiterzentrale, der 
Verein für soziale Kolonisation, die Gewerkschaften, die städtischen Arbeitsnachweise, die 
Jugendorganisationen (Pfadfinderbund, Jungdeutschlandbund, Wandervogel) und die 
Schulen taten das ihrige, um das notwendige Menschenmaterial den Landwirten zur 
Verfügung zu stellen. Die Eisenbahnminister gewährten den Erntehelfern freie Fahrt, 
und so gelang es, dank der raschen Entschlossenheit aller Volkskreise, die Ernte zur 
rechten Zeit vollständig einzubringen. Ein rasch angenommenes Gesetz gestattete den 
Behörden für die Dauer des Krieges Höchstpreise für Gegenstände des täglichen Be 
darfs, insbesondere für Nahrungs- und Futtermittel aller Art sowie für rohe Natur 
erzeugnisse, Heiz- und Leuchtstoffe festzusetzen. Von dieser Befugnis ist fast überall Ge 
brauch gemacht worden, und vielfach hat man sich nicht nur darauf beschränkt, dem 
Kleinhandel Preise vorzuschreiben, sondern hat sie auch dem Großhandel diktiert. So 
ordnete der Bundesrat am 4. und 9. November Höchstpreise für Weizen, Roggen und 
Hafer an, verbot die Verfütterung des Roggens, sah eine Einschränkung der Brennerei 
zugunsten des Roggenverbrauchs vor und gestattete den Zusatz von Kartoffelprodukten 
zum Roggenmehl oder, richtiger, Roggenbrot. Die Landeszentralbehörden und Gemeinden 
erließen Höchstpreise für Kartoffeln und Backwaren und richteten u. a. ihre Aufmerksam 
keit aus eine allgemeine Einschränkung des Verbrauchs von Benzin und Petroleum. 
Im Interesse dringender militärischer Bedürfnisse machte sich Mitte Februar 1915 
sogar eine umfangreiche Beschlagnahme von Metallen notwendig. Kupfer, Nickel, Zinn, 
Aluminium, Antimon und Blei mußte von einer bestimmten Vorratsmenge an von 
sämtlichen in Frage kommenden wirtschaftlichen Betrieben zur Beschlagnahme angemeldet 
werden. Vorübergehend verbot die Heeresverwaltung im Laufe des Winters auch den 
Fabrikanten und Händlern von Wollwaren die Veräußerung der bei ihnen lagernden 
wollenen, halbwollenen und baumwollenen Decken, sowie Filzdecken, um erst einmal die 
starke militärische Nachfrage zu befriedigen. Schließlich gestattete eine Bekanntmachung 
des Reichskanzlers vom Anfang Februar 1915 für spätere Eventualitäten Vorrats 
erhebungen jeglicher Art. Danach ist während der Kriegesdauer den Behörden jeder 
zeit Auskunft über Vorräte an Gegenständen des Kriegsbedarfs und an Dingen des 
täglichen Bedarfs zu geben. Verpflichtet dazu sind alle Handels-, landwirtschaftlichen 
und gewerblichen Unternehmungen, die derlei erzeugen, verarbeiten oder mit ihnen handeln, 
ferner die Gemeinden, Körperschaften und Verbände. 
Eine spezielle Vorratserhebung über unsere Getreide- und Nahrungsmittel 
bestände hatte bereits in den ersten Tagen des Dezembers 1914 stattgefunden. Ihr 
Ergebnis, das erst nach einigen Wochen genau festzustellen war, überraschte einigermaßen. 
Obwohl es an Warnungen, den Weizenverbrauch nach Möglichkeit einzuschränken, nicht 
gefehlt hatte, stellte es sich jetzt heraus, daß das deutsche Volk doch im allgemeinen in 
dieser Hinsicht recht sorglos gelebt und mehr verbraucht hatte, als man vorausgesehen 
hatte. Denn bekanntlich sind wir in Friedenszeiten darauf angewiesen, 1 / 3 unseres gesamten 
Weizenbedarfs vom Auslande zu beziehen. Und diese Möglichkeit ist während des Krieges so 
gut wie fortgefallen. Kurz, Anfang Januar 1915 stand so viel fest, daß nur ®/ B von der Menge 
Brotgetreide vorhanden war, die wir in normalen Zeiten bis zur nächsten Ernte ge 
braucht hätten. Zweierlei wurde nun zur dringenden Notwendigkeit: die Streckung des 
Brotgetreides durch reichlichen Zusatz von Roggen und Kartoffeln, und die behörd 
liche Einteilung des Brotverbrauches für die ganze Bevölkerung. Damit war 
die Regierung vor eine gewaltige organisatorische Aufgabe gestellt, die mit dem Reiz der
	        
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