Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Die Ausdehnung der Schlachtfront nach Norden 141 
und erst in der nächsten Ortschaft stieß ich wieder auf meine Leute. Unser Versuch, 
Lille zu umgehen, sollte aber bald ein Ende finden. Wir näherten uns einem Eisen 
bahndamm, und sofort pfiffen uns die Kugeln entgegen. Wir besetzten eine Stellung, 
und einige Stunden ging die Schießerei weiter, bis die Nacht dem Kampfe ein Ende 
machte. Wir hatten einige Tote, die wir auf dem Felde begruben, und etwa dreißig 
Verwundete, die wir auf requirierten Wagen mitnahmen. Vier lange Stunden trotteten 
wir zu Fuß auf Feldwegen weiter, da unsere Reitpferde bei der großen Bagage waren. 
Um zwei Uhr nachts konnte niemand mehr marschieren, denn alles war ohne Mittag- 
und Abendessen. Unser Kommandant ließ also halten; wir kochten Kaffee ab, dazu gab 
"Ls Speck und Brot. Bald gab sich alles der wohlverdienten Ruhe hin, im Straßen 
graben auf Stroh. Um sechs Uhr früh gingen wir wieder, frisch gestärkt, auf Lille zu, 
gruben uns in Stellungen ein, und um neun Uhr begann eine reguläre Feldschlacht, in 
der wir bis zum Abend unsere Stellungen behaupteten. Heute, den 5. Oktober, haben 
wir etwas weiter zurück neue Stellungen eingenommen; wir sollen den Feind hier auf 
halten, die Kavalleriedivision soll ihn im Rücken beschäftigen, bis unser Armeekorps 
heraufkommt, das in Valenciennes ausgeladen werden soll." 
Am 10. Oktober erfolgte dann die endgültige Besetzung von Lille durch die 
deutschen Truppen. Ein holländischer Kriegsberichterstatter, der für den „Nieuwe Rotter- 
damsche Courant" tätig ist, schreibt: „Die Deutschen besetzten Lille, aus dem sich das 
französisch-englische Heer zurückgezogen hatte, auf ihre typische Art. Es kamen nur 
wenige Mann, vier Ulanen, denen ein Radfahrer folgte. Dann kamen 60 Reiter, die 
die Stadt besetzten. Kaum waren einige davon abgestiegen, als Gewehrschüsse knallten, 
die drei Reiter töteten. Der Offizier ritt sogleich mit seiner Truppe zum Stadthaus, 
rief den Bürgermeister heraus und nahm ihn und einen seiner Ratskollegen als Geisel 
fest. Unterdessen meldete ein Radfahrer, französische Reiterei sei im Anzuge. Es ent 
spann sich ein kleiner Straßenkampf, und die Deutschen, die in der Minderheit waren, 
räumten zunächst die Stadt. Unmittelbar darauf begann die Beschießung. Die erste 
Bombe platzte über dem Dach des Stadthauses, ein Beweis dafür, wie gut unterrichtet 
die Deutschen waren. Andere Granaten fielen auf den großen Platz und auf die Straßen. 
Das war jedoch nur das Vorspiel, das eigentliche Bombardement begann erst mit der 
Dunkelheit, und nun hieß es: „Sauve qui peut.“ Die Einwohner verkrochen sich, in 
ihre Keller. In den Straßen war es stockdunkel, viele Häuser wurden in Trümmer 
gelegt, und erst die ausbrechenden Brände erhellten die Nacht. Mitten in der Nacht 
erschien auch eine Taube über der Stadt und warf eine Bombe. Während des folgen 
den Tages hielt die Beschießung an, ebenso die darauffolgende Nacht, und nun stand 
die Stadt an vielen Stellen in Brand. Ueberall kamen die unglücklichen Bewohner, 
Zum Teil nur halb bekleidet, hervor, um zu fliehen. Mitten in der Beschießung tat die 
Feuerwehr von Lille ihre Pflicht und suchte zu retten, was sie konnte; dabei wurden 
manche ihrer Leute von Bomben getroffen. Bei Anbruch des Morgens verstärkte sich 
die Beschießung, der Brand dehnte sich aus, ganze Straßenzüge standen in Flammen, 
und die Wege füllten sich allmählich mit hohen Haufen von Glasscherben, Holz und 
Trümmern, zwischen denen neue Geschosse das Verderben vermehrten. Diesmal wurde 
die Stadt durch die Franzosen verteidigt, deutlich konnte man in der Ferne den Donner 
der französischen Geschütze von dem der schweren deutschen unterscheiden, und solange 
das anhielt, war von Rücksicht auf die Stadt natürlich nicht die Rede. 
Gegen Mittag erschien in der Stadt ein deutscher Parlamentär mit der weißen Flagge 
in Begleitung französischer Reiter. Er begab sich in das Stadthaus; dort wurde offen 
bar über die Uebergabe unterhandelt. Das Ergebnis war, daß gegen Abend die deut 
schen Truppen in die Stadt einzogen, und daß ihr Stab in das Stadthaus einrückte.
	        
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