Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Das deutsche Reich während 
des ersten Krtegshalbjahres 
Morgendämmerung 
Von Legationsrat Hermann vom Rath 
Der gewaltige Schwung, der das ganze deutsche Volk mit elementarer Kraft bewegt, 
ist die große, vielleicht die größte Errungenschaft dieses Krieges. Aehnliches erlebt keine 
andere Nation. In jedem einzelnen vollzog sich ein Wechsel, was klein und verkümmert 
war, fiel ab, was groß und gesund, entfaltete sich, und in neuer heißer Liebe entbrannte 
jeder Deutsche zu solchem Volk und Land. 
Der Kriegsbegeisterung war der Boden wohl vorbereitet, bewußt und unbewußt. Seit 
geraumer Zeit schon bewegte die Nation ein idealistischer Trieb, der Drang, Körper und 
Geist tüchtig zu machen, um klare Köpfe, gesunde Glieder in den Dienst der Allgemein 
heit zu stellen. Zugleich war ein metaphysisches Verlangen der im Materialismus Ver 
hungernden erwacht, das seltsame Blüten trieb; bei den Ungebildeten Sektierertum, Bil 
dungen nach Art der Heilsarmee. Stärker noch war bei den geistig Höherstehenden die 
Reaktion gegen die Oede eines selbstgefälligen, schnell befriedigten Materialismus. Die 
minderbemittelten Geister suchten Zuflucht in Aeußerlichkeiten, Gesundbeten, Christian 
Science und ähnlichem, während die tiefer veranlagten die Schranken der Reflexion 
durchbrachen. Selbst Koryphäen der Naturwissenschaften begannen, vom magnetischen 
Strome angezogen, sich dem übersinnlichen Schauer zu erschließen, der einen Du Bois- 
Reymond lAuorabimus aussprechen ließ. Das religiöse Gefühl ist neuerwacht, tagtäglich 
drängen sich in den Kirchen andächtige Hörer, und durch die Vertiefung der Empfindung 
glätten sich die Unterschiede der Konfessionen. 
Eine elementare Reaktion gegen den stumpfen Materialismus des letzten Geschlechtes, 
dessen Füße noch in der heroischen Zeit standen, machte sich in unserer wundervollen 
Jugend geltend. Ihre Vorhut darf bereits in diesen gewaltigen Krieg ziehen, ihr Haupt 
heer aber wird uns noch die schönsten, wir hoffen friedlichen Siege kraftvoll und klar 
bewußt erringen. Diese Jugend will nichts mehr wissen von Kneipendunst und nerven 
peitschenden Reizmitteln, von papierenen Phrasen und verstaubter Bücherwurmexistenz. 
Lusthungrige Lungen, schönheitsdurstige Augen, die Natur und Welt in sich aufsaugen, 
hat sie. Staunend erleben wir's, diese Jugend hat nach einer Zeit der Verweichlichung 
des satten Lebensgenusses in sich soldatische Tugenden ausgebildet. Millionärssöhne ent 
sagen bewußt dem weichlichen Luxus, fühlen sich wohl auf dem Strohlager nach stunden 
langem Marsche und kochen ihr frugales Mahl. Zersplitterung in die äußersten Extreme 
hatte man dem heranwachsenden Geschlechte prophezeit, aber statt dessen zeigten sich die 
einigenden, Kasten überbrückenden Empfindungen, die in der jetzigen Volksbewegung so 
elementar, alles Parteiwesen hinwegschwemmend, hervorgebrochen sind. Instinktiv fühlt 
es die Jugend: nicht bei den Geldraffern, nicht bei den Papiermenschen liegt die Zu 
kunft, sondern bei den unermüdlichen Arbeitern, die Schutz und Wehr dem Reiche schufen. 
In klarer Erkenntnis sahen unsere Militärs die Katastrophe heraufziehen, indes die 
Diplomaten und Zunftpolitiker vom Dunst kosmopolitischer Träume, vom Aberglauben 
befangen waren, die tiefe Verstrickung internationaler wirtschaftlicher Beziehungen mache 
einen Weltkrieg unmöglich. 
Wer von uns Alten hatte diese richtige Spürkrast der Jugend?! Gewiß vermeinten 
wir, der selbstlosen Arbeit unseres Offizierkorps gerecht zu werden, aber wir ahnten doch 
Völkerkrieg. in. 1
	        
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