Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

D i e Russen als „Befreier" Galiziens 
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russischen Heer herrschenden Disziplinlosigkeit nicht wundernehmen. An den entsprechenden 
Berichten aus Ostpreußen (vgl. S. 48 ff.) gemessen, liest sich aber folgender amtlicher 
Bericht aus dem k. u. k. Kriegspressequartier verhältnismäßig noch harmlos: „Unsere 
Truppen, die auf Tarnow über Rzeszow vorrückten, hatten Gelegenheit, sich von dem 
allen militärischen Bräuchen hohnsprechenden barbarischen Vorgehen der russischen Truppen 
gegenüber der einheimischen Bevölkerung zu überzeugen. Alle Ortschaften auf der Strecke 
bieten ein Bild ärgster Verwüstung. In Dembica wurde ein Teil der Stadt eingeäschert. 
Das schöne Schloß Zawada wurde, da sich die einzige, mit der Aufsicht betraute Person 
weigerte, das ihr anvertraute Eigentum widerstandslos der Plünderung preiszugeben, 
vollkommen ausgeraubt, mit Petroleum begossen und angezündet. Alle Herren 
häuser bieten ein trauriges Bild der Verwüstung. Die meisten Möbel sind zer 
schlagen, die Spiegel mutwillig zerbrochen, Matratzen zerfetzt, kostbare Gemälde zer 
schnitten. Der Boden ist besät mit Bergen von Fetzen, Papieren, Scherben, kurz: ein 
Bild rohesten Vandalismus. Die russischen Soldaten gingen in allen von ihnen besetzten 
Orten nach dem gleichen System vor, das mit einer ehrlichen, geordneten, soldatischen 
Kampfesweise nichts gemein hat, sich vielmehr als ein unter dem Deckmantel militärischen 
Vorgehens unternommener Raubzug darstellt. Die Bewohner wurden auf der Straße 
einer Leibesvisitation unterzogen. Es wurde ihnen alles, was irgend Wert hatte, ab 
genommen. Besonders hatten es die russischen Truppen auf die Uhren abgesehen, die 
mit meist sehr unsanftem Griff aus der Westentasche des Besitzers in die Stiefelröhre 
eines Kosaken befördert wurden. Dem Pfarrer in Mrowla wurde seine Beichtuhr, 
welche die Zahl der abgenommenen Beichten anzeigte, aus der Tasche gezogen. Als der 
Mann später erkannte, daß sie wertlos war, wurde sie wieder zurückgestellt. Beim 
Rauben von Uhren taten sich auch die Offiziere keinen Zwang an. So erschien bei dem 
Rzeszower Uhrmacher Nikolaus Musokowski, ein russischer Regimentsarzt, der ihn be 
auftragte, seine goldene Uhr zu reparieren. Die Uhr erkannte Musokowski als sein 
Fabrikat und wies dies auch dem Regimentsarzt durch Vorlegung des Verkaufsregisters 
nach, aus dem die Nummer der Uhr und der Verraufstag zu ersehen war. Geraubt 
wurde nach einem sehr einfachen und praktischen System. Die Kosaken drangen in Rudeln 
von acht bis zehn Mann in Läden und Wohnungen ein und packten unter Vorhaltung 
von Revolvern Kleider und Pelze, Wäsche und Einrichtungsgegenstände in mitgebrachte 
Säcke. Der Inhalt wurde sodann mit den Offizieren geteilt. Die römisch-katholische 
Geistlichkeit wurde unhöflich, oft brutal behandelt. So wurde der hochbetagte Kanonikus 
von Dembica gezwungen, die Kosaken persönlich zu bedienen und ihnen Löffel und Messer 
aus der Küche zu bringen. Die Geistlichen wurden vielfach zur Oeffnung der Kirchen 
gewaltsam genötigt. In einem Spital in Rzeszow wurden zwanzig erkrankte österreichisch 
ungarische Soldaten aus den Betten gejagt, ein Beweis dafür, daß selbst Kranken gegen 
über das primitivste Gefühl der Menschlichkeit nicht beobachtet wurde. In vereinzelten 
Fällen waren Lebensmittel bezahlt worden. Allerdings kam der Verkäufer meistens 
nicht aus seine Rechnung, da er eine Quittung über den richtigen Empfang der Geld 
summe ausstellen mußte, ohne den bestätigten Betrag zu Gesicht zu bekommen. Wurde 
tatsächlich gezahlt, so war dank des hinaufgeschraubten Rubelkurses, der mit 3 Kronen 
30 Heller bestimmt ist, der Preis auf ein Minimum herabgedrückt. Auch Verkäufe 
wurden von den russischen Soldaten durchgeführt. Namentlich geraubte Kühe wurden 
den Bauern der Nachbarorte um einen Spottpreis zum Kaufe angeboten. War der 
Preis bezahlt, so erklärte der Verkäufer, daß er sich die Sache überlegt hätte und zog 
mit der Kuh und dem Gelde davon. So wurden mit einer Kuh mehrere Verkäufe durch 
geführt, der schließliche Besitzer blieb aber immer derselbe russische Soldat. Besonders 
zu erwähnen ist, daß in einzelnen Bezirken Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden."
	        
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