Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

D i e Kämpfe an der o st preußischen Grenze 205 
Auch die Hindenburgsche Armee bedurfte einer kurzen Raft, um stch zu sammeln. 
Vor allem die Infanterie, die durch den Sieg ihrer Beine den Erfolg vervollständigt hatte. 
Die Kavallerie dagegen blieb in ununterbrochener Vorwärtsbewegung über die Grenze. 
Für eine energische deutsche Offensive gegen die ganze befestigte Rarem—Bug-Linie 
fehlte es zunächst an Menschen- wie an Kriegsmaterial. Um Ostpreußen jedoch möglichst 
vor weiteren Schrecken des Kriegs zu bewahren, war nicht nur das Gouvernement Su- 
walki besetzt worden (vgl. S. 71), sondern man ging auch gegen die den kürzesten Weg 
nach Lyck beherrschende Festung Osowice vor. Um eine planmäßige Belagerung 
handelte es sich allerdings nicht, sondern der Zweck war nur die Absperrung des Bobr- 
Uebergangs. Der Kriegsberichterstatter des „Berliner Tagblatts" schreibt über diese 
Kämpfe: „Unsere Truppen sind in unaufhörlicher Bewegung und leiden unter schlechter 
Witterung, Anstrengungen und Entbehrungen. Es wäre daher nichts falscher, als zu 
glauben, daß wir nun mit Hurra und Hussa tief in Rußland einrückten, den Gegner 
vor uns hertreibend, bis wir uns in St. Petersburg und Warschau häuslich niederlassen 
können. Im Gegenteil, es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß wir hier und da aus der 
so kühnen und erfolgreichen Offensive zur Defensive zurückkehren müssen, bis auch wir 
neue Verstärkungen erhalten und die durch die jetzt monatelangen Kämpfe entstandenen 
Lücken genügend auszufüllen vermögen. Trotz dieser monatelangen Kämpfe sind Mut, 
Entschlossenheit, Zähigkeit unserer braven Feldgrauen noch ebenso wie am ersten Tage. 
Das können wir hier draußen am besten beurteilen. Welche Anforderungen wurden 
beispielsweise an die Belagerungsmannschasten der kleinen, aber gut bewehrten und ver 
teidigten russischen Festung gestellt! Vier Tage und Nächte hindurch gab es keinen 
Schlaf in den von unaufhörlichen Regengüssen aufgeweichten Laufgräben und Geschütz 
stellungen, fortwährend mußte aus unseren Mörsern und schweren Feldhaubitzen ge 
kümmert werden, um den Feind über unsere geringen Kräfte zu täuschen. Es handelte 
stch weniger um eine Bezwingung der Feste, als darum, den Gegner in seiner Truppen- 
zusammenziehung zu stören, die unserige aber zu ermöglichen. Das schlechte, trübe 
Wetter, auf das so viele schimpften, war da ein guter Bundesgenosse, denn von den 
feindlichen Fesselballons, von denen wir zwei herunterholten, war schlecht Ausguck zu 
halten, und der Dienst der feindlichen Flieger war auch lahmgelegt. Trotz alledem 
schossen die Russen, die unter anderem zwei große Schiffsgeschütze hatten, sehr gut und 
brachten uns manche Verluste bei, setzten aber absichtlich auch ihre eigenen Dörfer durch 
Granaten in Brand, um unseren Truppen Unterkunft und Verpflegung zu erschweren. 
Die deutschen Truppen litten hier aber keinen Mangel, dafür sorgten unsere Proviant 
kolonnen und auch Requisitionen, wobei jedes Huhn und jedes Ei bezahlt wurden." 
Inzwischen hatten stch die Russen im Schutze ihres Festungsgürtels neu gruppiert 
und neu ausgerüstet. Alle, die den Wert dauernder Befestigungen bestreiten und alles 
Heil von der Feldarmee erwarten, können an diesem Beispiel die Unzulänglichkeit ihres 
Standpunkts erkennen: die Befestigungen der Rarewlinie hatten nicht nur die ge 
schlagenen Heere der Vernichtung entzogen, sondern erleichterten auch ihre Sammlung 
und Wiederordnung, verhinderten die feindliche Aufklärung, ermöglichten eine unbemerkte 
Versammlung der Streitkräfte und schließlich — ein plötzliches Hervorbrechen. Ueber- 
raschend kam dieses der deutschen Heeresleitung jedoch nicht: am 2. Oktober hatte sie es 
in einer amtlichen Mitteilung angekündigt. 
Die neue russische Offensive 
In langer Linie, mit alten und neuen Kräften drangen die Russen über den Rjemen 
vor, um wieder in Ostpreußen einzufallen. Von Grodno aus setzte der Offensivstoß zu 
nächst gegen Suwalki ein. Das III. sibirische und Teile des XXII. finnischen Korps
	        
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