Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Die Kriegstagung des deutschen Reichstags am Dienstag dem 4. August 41 
Herrscher, vom Großen Kurfürsten an. Und mit einem Male beleben sie den stummen 
Raum. Aus den Augen dieser Männer blickt preußische Geschichte, und es ist, als ver 
ständigten sich diese Augen über die Breite des Saales hinweg. Von Marmor steht der alte 
Kaiser jetzt neben dem Thron, aber damals, an jenem 19. Juli 1870, stand er selber auf 
diesen Stufen, im selbigen Saal, vor einer Versammlung, ähnlich der heutigen, und in 
einer Stimmung, die wir Jungen erst heute nachfühlen dürfen. „Wir haben," sagte er 
damals, und man hört Bismarcks Art und Stil durch die Worte, „mit klarem Blick die 
Verantwortlichkeit erwiesen, die vor dem Gericht Gottes und der Menschen den trifft, 
der zwei große, friedliebende Völker zum Kriege treibt... Je unzweideutiger es vor 
aller Augen liegt, daß man uns das Schwert in die Hand zwingt, mit um so größerer 
Zuversicht wenden wir uns an die Vaterlandsliebe..." 
In den Ecken des Saales sind Hofuniformen erschienen, prangend und zu reich für 
diese Stunde. Sie ziehen keinen Blick auf sich, aber die fünf, sechs Offiziere, die eben 
in Felduniform eintreten, sind die Helden von morgen. Der Saal füllt sich sehr langsam. 
Unter den ersten ist der Kanzler, das Orangeband über dem blauen Waffenrock. Er blickt 
ernst auf den Kriegsminister, der strahlend mit ihm spricht, in Felduniform. Dernburg, 
der österreichische, und, sehr elegant im ordenlosen Frack, der amerikanische Botschafter 
mit dem kühnen Profil. Jagow, der Polizeipräsident, in Uniform, ganz Reiter, und 
Jagow, der Staatssekretär, in Hoftracht, sehr beschäftigt, kleiner als die meisten in dieser 
Galerie stämmiger Gestalten. Aber über die Köpfe aller ragt Fürst Hatzfeld als Garde 
du Corps, alt geworden und doch noch immer elegant, und Moltke, der Mann der 
Stunde, vornehm, ruhig, von demselben Ernst, mit dem die Millionen heute auf ihn 
blicken. Nur die drei japanischen Offiziere, mit den geheimnisvollen Zeichen auf dem 
Waffenrock, stehen in einer Nische, schweigend. Anders als alle ist der Kopf des Grafen 
Lerchenfeld, des Bayern, — des geistvollen Skeptikers an diesem Hofe. Es wird immer 
lauter, immer belebter. Nur die Abgeordneten sind nicht vollzählig da, 150, höchstens 
180 Herren, kein Sozialist. Kaempfs weißbärtiger Greisenkopf, Bassermann, auffallend 
viel Zentrum. Es klopft. Der Bundesrat, unter Vortritt des Kanzlers kommt, nimmt 
die Linke des Hufeisens, das sich um den Thron bildet, ein, auf dessen Längsseite der 
Reichstag sich gruppiert. Auf der Galerie erscheint die Kaiserin, die Kronprinzessin, 
mehrere Prinzessinnen und Damen. Der Kanzler verläßt den Saal, dem Kaiser Mel 
dung zu erstatten. Noch immer Gespräche unten, durchaus eine Lebhaftigkeit wie vor 
einer großen Debatte. 
Den feierlichen Ernst bringt erst der Kaiser. Er kommt, wie es die Stunde fordert, 
in Felduniform, mit braunen Stulpenstiefeln, als Soldatenkaiser. Drei Hurras. 
Schweigen. Der Unterstaatssekretär Wahnschaffe bringt dem Kaiser die Mappen; er 
übergibt die Thronrede seinem Herrn. Der Kaiser hat in militärischem Tone gesprochen, 
zuerst nicht immer ganz laut und deutlich, dann kräftiger. Aber während er redet, ist es 
für die Dauer einer Sekunde, als verschwände mit einem Male die Gestalt des ernsten 
Mannes, der neben dem Throne steht — und plötzlich steht da ein Halberstädter Küras 
sier, und es ist wieder der 25. Juni 1888, und derselbe Kaiser, 28jährig, sagt: „In der 
auswärtigen Politik bin ich entschlossen, Frieden zu halten mit jedermann, so viel an 
mir liegt. Meine Liebe zum deutschen Heere und meine Stellung zu demselben werden 
mich niemals in Versuchung führen, dem Lande die Wohltaten des Friedens zu ver 
kümmern, wenn der Krieg nicht eine durch den Angriff auf das Reich oder dessen Ver 
bündete uns aufgedrungene Notwendigkeit ist." Die Phantasmagorie verschwindet, es 
ist wieder heute, 26 Jahre später, und mit weithallender Stimme ruft der Kaiser: „Mit 
schwerem Herzen habe ich meine Armee mobilisiert... Uns treibt nicht Eroberungslust,
	        
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