Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Rußlands innere Verhältnisse 
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sind nur durch die außerordentliche Schußweite der schweren Artillerie der Deutschen zu 
erklären. Diese Verluste haben jedoch unsere Stellungen im großen und ganzen keines 
wegs erschüttert." 
„In Frankreich eilen die französischen Armeen von Sieg zu Sieg. In der Umgegend 
von Peronne hat General Pau die Deutschen geschlagen. Der Feind hat 50 000 Mann 
verloren. Die Armee des deutschen Kronprinzen ist bei Longuyon besiegt worden." 
„Der Chef der bayrischen Truppen — erzählt eine aus Frankreich nach Rußland zu 
rückgekehrte Persönlichkeit — ist durch Zufall in Gefangenschaft geraten. Nur von 
einigen Offizieren begleitet, hatte er sich nach den vordersten Reihen begeben. Mitten in 
einem Walde stieß er ganz unerwartet mit einer großen französischen Patrouille zu 
sammen. Die französischen Soldaten schossen auf die deutschen Offiziere und töteten 
zwei von ihnen. Die zwei andern wurden gefangen genommen. Einer von ihnen war 
eben Kronprinz Rupprecht. Um seinen Namen befragt, wollte er lange Zeit mit der 
Sprache nicht herausrücken. Schließlich brachte man ihn nach dem Hauptquartier 
Joffres. Auch hier antwortete er auf alle Fragen: „Ich habe keinen Namen." Endlich 
wurde er von General Pau erkannt." 
„Bei der Untersuchung des deutschen Kreuzers Magdeburg stellte sich ein interessanter 
Umstand heraus, der auf die Behandlung in der deutschen Marine schließen läßt. In 
jeder Offizierskammer fand sich eine lederne Peitsche, Handgriff 25 cm und neun 
Riemen von 30 oin Länge, auf den Griff ist K. M. (Kaiserliche Marine) und der Name 
des betreffenden Offiziers eingestempelt. Die Peitschen zeigen das Merkmal eines sehr 
häufigen Gebrauchs; besonders abgenutzt ist die des ersten Offiziers, der ja nach dem 
Charakter seiner dienstlichen Tätigkeit am meisten mit den untern Chargen der Besatzung 
in Berührung kommt." (Daß die Russen kein Verständnis für Reinigung der Uniformen 
haben und bei den Klopfpeitschen von sich auf andere schließen, ist nicht erstaunlich.) 
Trotz aller Lügenberichte ist weder in Petersburg noch in Moskau eine rechte Kriegs 
begeisterung aufgekommen. Das geht aus zahlreichen Briefen an gefangene russische 
Offiziere hervor. „Gebe Gott, daß dieser blödsinnige Krieg ebenso rasch zu Ende geht, 
wie er begonnen," schreibt eine gesellschaftlich sehr hochstehende Dame an ihren Sohn. 
Die Niederlage bei Tannenberg hat, wenn sie auch in ihrem vollen Umfang gar nicht be 
kanntgegeben wurde, auf die Stimmung in Rußland einen niederschmetternden Einfluß 
ausgeübt. Die Zeitungen bemühten sich zwar ernstlich, die öffentliche Meinung zu be 
ruhigen. Es hieß, die Niederlage dürfe weder die Stimmung der Armee noch Rußlands 
selbst bedrücken. Der Verlust an Mannschaften sei bei dem unerschöpflichen Menschen 
material, über das man verfüge, rasch zu ersetzen. Man solle auf den Winterfeldzug ver 
trauen; die nordische Natur werde Rußland wie1812 noch besser verteidigen als die Truppen. 
Dennoch blieb die Volks st immung gedämpft. Der Unmut machte sich vor 
allem gegen England Luft. In russischen rechtsstehenden Kreisen wurde die Entente 
mit England niemals gebilligt, da man stets darauf verwies, daß die russischen In 
teressen mit denen Englands unmöglich harmonieren könnten. Grey trachte nur danach, 
Rußland und Frankreich in einen Krieg mit Deutschland zu verwickeln, um dann den 
Profit einzuheimsen. In russischen nationalen Zirkeln erhebt man nun neuerdings 
gegen England den Vorwurf, es schone seine Flotte zu sehr und schädige mit seinen 
operettenhaften Expeditionsarmeen unter dem Kommando prahlerischer Renommisten 
das Ansehen der Ententemächte moralisch und tatsächlich. Auch behandle die englische 
Berichterstattung Rußland als guantite negligeable und suche England eine führende 
Rolle im Landkrieg zuzuteilen. Die Zeitung „Semschtschina" nimmt die Nachricht, 
daß man in England von einer langen Dauer des Krieges überzeugt sei, mit lebhaftem 
Unbehagen auf. Das Blatt ist fast geneigt, an eine Tücke Englands zu glauben. Für
	        
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