Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

74 Rußland in der Zeit der ostpreußischen und galizischen Kämpfe 
zu bieten. Die Mitglieder der Arbeiterpartei, die sich aus den wenigen freiheit 
lich gesinnten Bauernvertretern zusammensetzt, die durch die engen Maschen des Wahl 
rechtes schlüpfen konnten, und die Sozialdemokraten, die das ganze Industrie- 
Proletariat Rußlands vertreten, haben die Kriegskredite nicht bewilligt; sie haben sich 
vor der entscheidenden Abstimmung aus dem Sitzungssaal entfernt. Diese Haltung ist, 
abgesehen von dem persönlichen Mute der Abgeordneten, besonders beachtenswert, weil 
die Erklärungen der Führer beider protestierenden Gruppen keinen Zweifel daran 
ließen, daß sie vor allem gegen die jetzige Regierung Rußlands Einspruch erheben und 
durchaus nicht eine vaterlandslose Gesinnung vertreten wollten. Der Vertreter der 
Arbeitergruppe gab sogar eine ausgesprochen patriotische Erklärung ab. Er sagte u. a.: 
„Wir sind fest überzeugt, daß die Kraft der russischen Demokratie gemeinsam mit allen 
anderen Kräften unseren Feind entschieden zurückschlagen wird. Wir glauben, daß auf 
dem Schlachtfeld die Brüderschaft aller Völker Rußlands sich in großen Leiden be 
haupten wird.... Aber unsere Regierung ist auch in dieser schicksalsschweren Stunde 
nicht gewillt, den inneren Zwist aufzugeben, sie amnestiert nicht einmal die Kämpfer 
für die Freiheit und das Glück des Landes, sie schließt nicht Frieden mit den nicht 
russischen Völkern des Landes, die begeistert mit uns für das gemeinsame Vaterland 
kämpfen. Und statt die Lage der arbeitenden Klassen des Volkes zu erleichtern, belastet 
sie eben diese mit dem Hauptteil der militärischen Auslagen, indem sie die indirekten 
Steuern jetzt noch vergrößert." Die Rede des sozialistischen Abgeordneten, der im 
Namen seiner Fraktion sprach, ist leider in den vorliegenden Quellen nur auszugsweise 
wiedergegeben. Er erklärte, als die europäischen Regierungen den Krieg vorbereiteten, 
hätte das russische Proletariat gemeinschaftlich mit dem deutschen Einspruch erhoben. 
Verschiedene Umstände hätten jedoch die russischen Arbeiter verhindert, sich so offen wie 
ihre deutschen Brüder gegen den Krieg zu äußern. Aber die Herzen der russischen 
Arbeiter hätten während dieser großartigen Kundgebungen mit denen der Proletarier 
im Auslande geschlagen. Der Krieg sei eine Folge der Expansionspolitik, für die die 
herrschenden Klassen aller kriegführenden Staaten verantwortlich seien. Das Pro 
letariat, der beständige Vertreter der Freiheit und der Volksinteressen, werde zu jeder 
Zeit die Kulturgüter des Volkes gegen jeden Angriff schützen. 
Diese Haltung der Opposition konnte in der Presse und damit in der Oeffentlichkeit 
zunächst kein Echo finden, da die P r e ß z e n s u r äußerst streng gehandhabt wird. Leere 
Stellen sind in den russischen Zeitungen fast auf jeder Seite zu finden, obwohl schon 
vor der Fertigstellung der Druckplatten alle Aufsätze und Mitteilungen der Zensur vor 
gelegt werden müssen; offenbar wird also eine doppelte Zensur ausgeübt, die oft noch 
im allerletzten Augenblick Stellen beseitigen läßt, die vorher genehmigt worden waren. 
Dafür unterbleiben allerdings die sonst so häufigen administrativen Geldbußen. Die 
Zeitungen sind so fast ausschließlich auf die Wiedergabe des amtlich übermittelten oder 
jedenfalls erwünschten Stoffes angewiesen. Daher kann die einmütige patriotische Hal 
tung nicht verwundern, in die auch die Blätter der Opposition einstimmen, außer den 
sozialistischen, die sofort nach Kriegsausbruch unterdrückt worden sind. Die beiden in 
Petersburg erscheinenden deutschen Tageszeitungen, die zunächst noch weiter erschienen, 
konnten natürlich keine Ausnahme machen. 
Für die Art der amtlichen russischen Kriegsberichterstattung sind bereits 
einige Belege mitgeteilt worden (II, S. 39 f.). Was in halbamtlichen und privaten Mel 
dungen geleistet wird, übertrifft die kühnsten Erwartungen. Folgende Beispiele der 
„Nowoje Wremja" vom 2. und 3. September mögen das veranschaulichen: 
„In Ostpreußen haben sich unsere Truppen bereits vollständig erholt und beginnen, 
den Feind wieder zu bedrängen. Die Verluste, die unsere zwei Armeekorps erlitten,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.