Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Die Russen in O st Preußen 
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Ihre Einkäufe bezahlten Offiziere und Mannschaften in den meisten Fällen bar, 
wenn auch die Geschäftsinhaber beim Wechseln viel Geld einbüßten, da der Rubel einen 
Zwangskurs von drei Mark hatte. 
Das Oberkommando der Wilnaarmee hatte sein Quartier in Insterburg auf 
geschlagen. General Rennenkampf und zeitweilig auch der Oberstkommandierende der 
russischen Armee, Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, hatten im ersten Hotel, im „Dessauer 
Hof", Wohnung genommen. Der Wirt hat in den 19 Tagen, in denen der russische 
Generalstab bei ihm wohnte, sehr interessante Erfahrungen gemacht. Kurz bevor die 
Russen eintrafen, hatte eine deutsche Patrouille von zwei Mann bei ihm gewohnt. Es 
gelang den beiden Soldaten nicht rechtzeitig, das Hotel zu verlassen und so steckte denn 
der Wirt den einen in einen Maurerkittel, den andern in einen Kellnersrack. Sie ent 
gingen auf diese Weise der Gefangenschaft. Als das Oberkommando im „Dessauer Hof" 
Wohnung nahm, wurde zuerst das ganze Haus nach Bomben abgesucht. Die im Keller 
liegenden Kohlensäureflaschen hielten die Russen für — Höllenmaschinen und ließen sie 
weit hinaus aus einen freien Platz bringen. Erst als ihnen später das Bier nicht mun 
dete, und der Wirt die nötigen Erklärungen gab, wurde eine der Flaschen unter starker 
Bedeckung herbeigeholt und die Russen überzeugten sich von der Ungesährlichkeit der 
„Bomben". Natürlich haben die Russen im Hotel sehr gut gelebt, der Sekt floß in 
Strömen und der Adjutant des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch, Oberst v. Gräwen, 
forderte von dem Wirt, daß er die Kellner durch Damenbedienung ersetze. Als General 
Rennenkampf bei seiner Rückkehr von dieser „Neuerung" erfuhr, war er nicht sonderlich 
davon erbaut und schrie: „Hinaus mit dem Weiberpack!" Die russischen Offiziere gaben 
sehr viel Geld aus. Als es schließlich dem Adjutanten des Großfürsten an Geld man 
gelte, blieb er die Hotelrechnung schuldig und versprach dem Wirt, für den Betrag 
Kolonialwaren zu schicken. Als die Waren in die Nähe von Insterburg kamen, hatte 
jedoch schon die russische Herrschaft ihr Ende erreicht und die Bagage fiel in die Hände 
der deutschen Truppen. 
In der Stadt hat General Rennenkampf auf Ordnung gehalten. Sie hat denn auch 
nicht allzuviel Schlimmes erduldet. Das ist nach dem Zeugnis der Jnsterburger be 
sonders der Energie des Stadtrats Dr. Bierfreund zu verdanken, der, weil der Ober 
bürgermeister geflohen war, von General Rennenkampf zum Gouverneur der Stadt ge 
macht wurde und sich in dieser schwierigen Situation ausgezeichnet bewährt hat. Ein 
Korrespondent berichtet: „Die von diesem Manne unterzeichneten Anschläge zeigen in 
ihrem Wortlaut eine erfreulich männliche Haltung gegenüber den Gewalthabern der 
Stunde. Gleich in der ersten Ankündigung stehen die Worte: „Insterburg ist von der 
russischen Armee besetzt. So lange diese Besetzung dauern wird . . ." Diese Andeutung 
auf das Vergängliche der Russenherrschaft hat dem tapferen Jnsterburger Stadtrat 
nichts geschadet; ebensowenig wie die vernünftige Vorsicht, mit der er die zuweilen selt 
samen Ukase, die er als Gouverneur zeichnen mußte, immer nur als „Befehle des 
Generals Rennenkampf" angibt, ohne sich irgendwie mit ihrem Inhalt zu belasten. Er 
mahnt seine lieben Mitbürger, alle Prüfungen geduldig zu ertragen, den Soldaten höflich 
zu begegnen und ihnen keine hohen Preise abzuverlangen. Er weist auf einige Geschäfte 
hin, die „zwangsmäßig ausverkauft" wurden, durch ausgebrochene Türen und geöffnete 
Ladenkästen. Solche „zwangsweisen Ausverkäufe" sind an einigen Türen durch die Unter 
schriften des Generals Rennenkampf oder des Kommandanten Merinowsky bescheinigt. 
Schlimmer wurde es, als auf einige Aeroplane vom Dach der Maschinenfabrik von 
Brasch in der Bahnhofstraße mit einem Revolver geschossen worden war. Den Aero- 
planen war zwar nichts geschehen, aber die Fabrik wurde niedergebrannt. Sie steht als 
Ruine zwischen stattlichen Häusern.
	        
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