Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

D i e Disziplin im französischen Heer 
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Offizieren. Als von diesen der Befehl zum Vormarsch auf Lützelhausen gegeben wurde, 
weigerten sich viele der Soldaten aufzustehen. Zurufe wie Isis tu guenle! — Tu 
veux risquer ta peau? Vas-y tout seul si t’as envie! erschollen laut zu dem befehlenden 
Offizier herüber. 
„Es dauerte eine kleine Ewigkeit," erzählt ein Lothringer aus der Gegend von Saar 
burg, „bis die Soldaten nur angetreten waren. „Vous y etes?“ fragte der Offizier. 
„Pas encore“, antworteten die Soldaten — „nous n’avons rien dans le coco.“ (Noch 
lange nicht, wir haben ja noch nichts im Bauch.) Wird der Offizier etwas schneidiger, dann 
rufen ihm feine Soldaten zu: „Tals ta gueule — je t’emmerde — ma premiere balle 
sera pour toi.“ („Halte deine Schnauze — ichfch ... dich voll — meine erste Kugel ist für 
dich.") Soldaten traten aus der Reihe hervor und warfen dem Offizier die Flinte vor die 
Füße. Angesichts solcher Tatsachen, die an verschiedenen Orten von deutschen Lothringern 
beobachtet wurden, ist es nicht zu verwundern, wenn ein französischer Kommandant, der 
etwas deutsch sprach, und dieser Tage als Gefangener durch Saargemünd kam, zu deut 
schen Soldaten sagte: „Wenn ich euch gehabt hätte, hätte ich mich nicht ergeben." Mit 
seinem ganzen Bataillon hatte er sich ohne «Pchuß ergeben." 
Die Plünderungen der zurückweichenden Franzosen im eigenen Lande 
werden in vielen deutschen Feldpostbriefen bezeugt. „Mehrfach," berichtet ein Mit 
kämpfer, „haben wir — unmittelbar nach dem Abzug der Franzosen — Ortschaften 
betreten, in deren Häusern wir eine grenzenlose Verwüstung vorfanden. Das 
Mobiliar war zertrümmert, Lebensmittel lagen zertreten am Boden umher, Leinen- und 
Kleiderschränke standen offen. Der Inhalt war zum Teil auf der Erde verstreut. Die 
Franzosen hatten auf der Flucht unterwegs alles weggeworfen und ergänzten nun hier 
ihre Bestände. Was für sie unbrauchbar war, warfen sie eben weg. Soeben wurde mir 
von einem Kameraden, einem Augenzeugen, erzählt, daß in einer Fabrik in der Nähe der 
Geldschrank erbrochen sei. Französische Beilpiken, die daneben lagen, zeigten, wer die 
Täter waren; was sollten auch unsere Truppen mit dem französischen Geld? So hausen 
also die flüchtigen Franzosen im eigenen Land." Ein deutscher Sozialdemokrat schreibt in 
der „Frankfurter Volksstimme": „Ich hatte die Franzosen höher eingeschätzt, bekam aber 
einen tiefen Abscheu, als ich sah, wie sie gehaust hatten. Je weiter wir ins Land 
kamen, bis tief nach Frankreich hinein, überall dasselbe Bild, überall grauenvolle Ver 
wüstung, hungernde Frauen und Kinder, verzweifelte alte Leute, die erzählten, daß es 
ihre eigenen Landsleute waren, die ihre Wohnungen und alles vernichteten. Mir ist 
während des ganzen Marsches nur ein Fall bekannt geworden, wo sich ein betrunkener 
deutscher Landwehrmann zu einer Demolierung hinreißen ließ; von seinen übrigen 
Kameraden wurde er sofort der Wache übergeben und verhaftet. Unsere Soldaten dul 
deten nicht, daß geplündert wurde, sie teilten ihre eigenen Rationen mit den hungernden 
Frauen und Kindern. In Tanny traf ich eine Familie, Frau mit sechs Kindern, das 
siebente war auf dem Wege, die Familie war halb verhungert; sofort erhielt sie, nach 
dem ich dem Feldwebel davon Mitteilung gemacht hatte, von uns Brot, Reis, Salz, 
Kaffee und Fleisch von einem Ochsen, den wir geschlachtet hatten. Der Mann dieser 
Familie stand als Artillerielandwehrmann im Felde und schoß vielleicht in demselben 
Moment, wo die deutschen Soldaten seine Kinder und Frau verproviantierten, sein 
Geschütz gegen deutsche Soldaten ab. Das hinderte uns nicht, Mensch zu sein gegen die 
Unschuldigen, die unter diesem Zustand leiden mußten, und so wie wir dieser Frau 
gegenüber verfahren sind, so haben wir allen, die ohne Nahrung herumirrten, geholfen." 
Bei einer derartigen Demoralisation der französischen Soldaten erscheint es einiger 
maßen erklärlich, daß die Franzosen selbst, und nicht etwa nur die von ihnen dafür 
beschuldigten Zuaven und Neger, in einzelnen Fällen das Rote Kreuz nicht geachtet.
	        
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