Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Der Rückzug der Verbündeten auf Paris 
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deutsche Artillerie wiederum das Feuer. Sechsundeinhalbe Stunde lang wartete 
die englische Kavallerie auf das Zeichen zur Attacke gegen die deutschen Schützen. 
Das Gelände war flach und nur von einigen Gräben durchzogen, und die 
Gelegenheit für eine Kavallerieattacke schien ideal zu sein. Unsere Leute murrten 
schon über den Aufschub und baten, man möge ihnen den Angriff erlauben. Um 
10 Uhr 30 Min. morgens war der Befehl ergangen, und die ganze Brigade 
wurde auf die Schützen des Feindes losgelassen. Die 9. Lanciers gingen ins 
Gefecht, singend und schreiend, wie Schulknaben. Sie behandelten die Attacke wie ein 
spaßiges Ereignis. Eine Zeitlang schien alles gut. Das deutsche Artilleriefeuer leerte 
nur wenige Sättel, und schon schienen die Schützen in greifbarer Nähe zu sein. Plötzlich 
kam die Tragödie. Direkt in das Antlitz der heranstürmenden britischen Kavallerie er 
öffneten die Deutschen ein mörderisches Feuer. Wenigstens 20 Maschinengewehre waren 
verborgen worden; es regnete den Tod auf unsere Reiter auf eine Entfernung von nur 
150 Metern. Niemand hatte eine Ahnung von diesen Maschinengewehren gehabt. Das 
Ergebnis war vernichtend. Auf die 9. Lanciers prasselte die volle Gewalt des Sturmes. 
Der Vicomte de Vaumineux, ein Franzose, der als Dolmetscher mit der Brigade ritt, 
wurde sofort getötet, ein tapferer Offizier, dessen Tod viele in England beklagen werden. 
Kapitän Letoureh, der französische Lehrer einer englischen Schule in Devonshire, der bei 
der britischen Kavallerie an der Seite de Vaumineux' ritt, entging dem Tode wie durch 
ein Wunder. Das Pferd wurde unter ihm weggeschossen, er fing ein anderes, das reiter 
los umherirrte, und ritt unverletzt davon. Hauptmann Porter wurde verwundet, aber er 
entkam; andere Ofsiziere fielen. Während das Gros der Brigade nach rechts abschwenkte 
und das Feuer der Maschinengewehre auf 100 Meter zu schmecken bekam, ritten einige 
geradeaus gegen den Feind, aber nur wenige Meter. Die Falle, die das nicht ernst 
gemeinte Feuer der schweren Artillerie verdeckt hatte, war vollkommen. Ein Gewirr von 
Stacheldraht war 30 Meter vor den Maschinengewehren im Gras verborgen. Unsere 
Leute, die in voller Karriere hineinritten, fielen und wurden gefangen. Drei der besten 
Kavallerie-Regimenter des britischen Heeres haben diese Attacke geritten. Von den 
9. Lanciers versammelten sich am Abend nicht mehr als 40 im Dorfe Raismes, andere 
kamen am nächsten Tag, und endlich ergab ein Appell des ganzen Regiments, daß im 
ganzen nur 220 Mann übriggeblieben waren." 
Die Niederlage der Engländer bei St. Quentin ist dadurch zustande gekommen, 
daß sich deutsche Kavalleriemassen vor die auf St. Quentin vorgehenden englischen 
Heeresmassen schoben und sie so lange aufhielten, bis das verfolgende Armeekorps noch 
mals entscheidend eingreifen konnte. Die Niederlage war vollständig; die Engländer 
wurden gänzlich von ihren rückwärtigen Verbindungen abgeschnitten. „Der erste große 
Erfolg der Deutschen," schrieb der Korrespondent der „Times" wenige Tage nach der 
Schlacht, „ist unbestritten. Wir stehen der Tatsache gegenüber, daß das britische 
Expeditionskorps, welches die Wucht der deutschen Hiebe zu ertragen hatte, entsetzliche 
Verluste erlitten und unmittelbar eine riesige Verstärkung notwendig hat. Das britische 
Expeditionskorps hat unvergänglichen Ruhm erstritten, aber es braucht Männer, Män 
ner und noch mehr Männer, denn die Belagerung von Paris läßt sich nicht mehr aus 
dem Bereiche der Möglichkeit verbannen. Die Zeit für Geheimnisse ist vorbei. Was sie in 
England wissen, ist ungefähr die Wahrheit; aber ich schreibe, während die Deutschen un 
unterbrochen vorwärts dringen und das ganze übrige Frankreich glaubt, ste würden noch 
an der Grenze festgehalten. Es ist dringend nötig, daß die Nation erfährt, wie die Sach 
lage ist. Ich sah eine zurückweichende, gebrochene Armee; wenn man sich auch der Tat 
sache nicht verschließen kann, daß jedes britische Regiment und jede Batterie ihre volle 
Schuldigkeit taten — und wahrscheinlich, nie ist die Pflicht schwieriger gefallen. 
VMerkxieg. I. lg
	        
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