Volltext: Der Völkerkrieg Band 11 (11 / 1918)

Vom Thronfolger 
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Mahmud II., unter dem Moltke an der Reorganisation des türkischen Heeres teilnahm. Von dem 
ältesten Sohne Mehmeds II., von dem Sultan Abdul Medschid, der 1839 bis 1861 regierte, stammt 
der jetzige Sultan ab. Von dem jüngeren Sohne Mehmeds II., von Abdul Aziz, der von 1861 bis 
1876 Sultan war, stammte Jussuf Jzzeddin. Als Jussuf Jzzeddin 10 Jahre alt war, nahm ihn sein 
Vater nach Paris zum Besuche der Weltausstellung mit. Er trat dann in die Militärschule in Kon 
stantinopel ein, wurde Kommandant der Stadt Konstantinopel und der kaiserlichen Garde und erhielt 
den MarschaüSrang. Am 30. Mai 1876 wurde sein Vater Abdul Aziz abgesetzt. Abdul Aziz war 
ganz unter den Einfluß Jgnatiews, der damals russischer Botschafter in Konstantinopel war, geraten, 
die Türkei verfiel dem Staatsbankerott, die inneren Wirren und die vielverschlungenen Intrigen 
hatten das Reich geschwächt. Abdul Aziz hatte auch versucht, das HauSgesetz über die Thronfolge, 
daS die direkten Nachkommen eines Sultans zum Verzicht verurteilte, zugunsten seines Sohnes zu 
ändern, aber der Versuch war vergeblich gewesen und hatte nur das Resultat, daß Mrlrad V., der 
nach dem Sturze Abdul Aziz' Sultan wurde, und der dann regierende Abdul Hamid den Prinzen 
Juffuf Jzzeddin mit Mißtrauen betrachteten. AlS Abdul Aziz zuerst eingesperrt und dann ermordet 
worden war, verschwand Jussuf Jzzeddin völlig im Hintergrund. Erst als nach der jungtürkischen 
Revolution und nach der Absetzung Abdul Hamids sein Vetter Mehmed V. zur Regierung kam und 
nun er nach dem Hausgesetz Thronfolger wurde, trat er wieder aus der Vergessenheit hervor. 
Prinz Juffuf Jzzeddin hatte in seiner Verborgenheit einen KreiS von Freunden um sich versammelt, 
die von liberalen Tendenzen und weitgehenden Hoffnungen erfüllt waren. Sein Vertrauter war 
der Doktor Beha Eddin, der zugleich die Verbindung zwischen ihm und den Männern des späteren 
jungtürkischen Komitees herstellte — eine Verbindung, die vielleicht später nicht immer gleichmäßig 
gefestigt blieb. Sofort nach der Revolution zeigte Jussuf Jzzeddin auch öffentlich seine Neigung für 
europäische Ideen. Er ging zunächst als Vertreter des Sultans zu den Krönungsfeierlichkeiten nach 
London und begrüßte auf der Heimreise den König von Italien in Rom. Dann besuchte er die 
anderen Länder Europas, er war wiederholt in Paris, häufig in Wien und kam auch nach Berlin 
und anderen deutschen Städten. Ueberall machte er durch sein höfliches, ruhiges, sehr zurückhaltendes 
Wesen einen angenehmen Eindruck und schien von allen Extravaganzen frei. 
Man kann nicht sagen, daß er in den letzten Jahren, nach dem völligen Siege deS jungtürkischen 
Programms, dann noch eine politische Führerrolle gespielt habe. Er lebte in seinen schönen Palästen, 
den Winter- und den Sommerpalästen, wo er sehr viel Bilder und andere Kunstwerke angehäuft 
hatte,, und wo er auch eine große französische Bibliothek besaß. Sein Vermögen galt für sehr be 
deutend, alS Thronfolger bezog er eine Apanage von etwa 7a Million Francs. Man erzählte, daß 
er schwermütig sei und an nervöser Reizbarkeit leide, was allerdings von anderer Seite bestritten 
wurde." Wie A. K. in der „Neuen Zürcher Zeitung" (4. II. 16) behauptet, litt Jussuf Jzzeddin 
Effendi außerdem seit Jahren an einem schweren Krebsleiden. 
Jedenfalls steht fest, daß seine Umgebung seit 2 Jahren immer häufiger werdende Trüösinns- 
anfälle bemerkte. „Er sorgte," so wurde der „Frankfurter Zeitung" (15.11.16) aus Konstantinopel 
geschrieben, „um sein Leben und nicht minder darum, daß dunkle Kräfte an der Arbeit seien, ihn 
von der Thronfolge auszuschließen. Er sah überall gegen sich gerichtete Wühlereien. Oft erschien 
er unangemeldet im kaiserlichen Palast von Dolma Bagtsche, um sich beim Sultan Gewißheit über 
seine Stellung zu verschaffen. Im Frühjahr 1915 nahm dieser Verfolgungswahn eine besonders lebhafte 
Form an. Um ihn zu beruhigen, ließ der Sultan einen Takrir ausfertigen, der von ihm und sämt 
lichen Ministern gezeichnet war, wonach ihm die Thronfolge verbürgt wurde. Da§ Schriftstück übte 
einen heilsamen, aber leider nicht lange anhaltenden Einfluß aus. Bald stellten sich andere Wahn 
vorstellungen ein. Die amtlichen Kreise sahen mit aufrichtiger Betrübnis den geistigen Verfall des 
Prinzen, den man nach Möglichkeit zu zerstreuen und abzulenken versuchte. Am 1. Februar sollte er 
eine Erholungsreise nach Oesterreich-Ungarn und Deutschland antreten. Der frühere Botschafter in 
Washington, Reschid Pascha, war zu seiner Begleitung ausersehen. Er, die Minister und der arme 
nische Senator Abraham Pascha, ein 83jähriger Herr, an dem der Thronfolger mit großer Zunei 
gung hing, waren schon an der Bahn. Da traf die telephonische Nachricht vom Selbstmord des 
Thronfolgers ein. Er wußte sich trotz sorgfältigster Aufsicht ein Rasiermeffer zu verschaffen, mit 
dem er den tödlichen Schnitt ausführte. Den ihm Nahestehenden war eS bekannt, daß der Prinz 
schon vor einigen Monaten einen ähnlichen Versuch gelegentlich einer Fahrt nach Adrianopel unter 
nommen hatte; Senator Husni Pascha rettete ihn damals."
	        
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