Volltext: Der Völkerkrieg Band 11 (11 / 1918)

292 Die Schweizer. Eidgenossenschaft während des zweiten Kriegsjahres 
departement unterstellt werden. Das Auftauchen solcher Ideen beweist eine vollständige Miß 
kennung der tatsächlichen Lage. Wir hätten gehofft, daß die Kriegsereigniffe, welche sich vor unsern 
Augen abrollten, wenigstens eine Ueberzeugung gezeitigt hätten: daß unsere Neutralität nur so lange 
einen Schutz für unsere Unabhängigkeit bildet, als sie nicht nur von dem Willen des ganzen Volkes 
getragen wird, sondern auch mit ausreichenden militärischen Schutzmitteln ausgestattet ist. Wir 
hätten gehofft, daß das Verständnis dafür allgemein geworden wäre, daß der Zustand der Neutralität 
nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten schafft, und daß die oberste Pflicht dahin geht, durch Auf 
wendung entsprechender Verteidigungsmittel den sämtlichen Kriegführenden den Beweis zu leisten, 
daß wir den Schutz unserer Grenzen nicht nur bewerkstelligen wollen, sondern auch können. Mit 
solchen Auffassungen steht nun aber das Begehren, in einem kritischen Abschnitte des Krieges auf 
einen Oberbefehlshaber der schweizerischen Armee zu verzichten, im allerschroffsten Widerspruch. 
Dabei wollen wir nur andeuten, welche geradezu unhaltbaren Verhältnisse durch die Unterstellung 
von Armeeltab und Truppe unter Militärdepartement und Bundesrat geschaffen würden. 
Wir geben uns der Hoffnung hin, daß die Erörterung dieses unseres Berichtes und der damit in 
Zusammenhang stehenden Fragen die eidgenössischen Räte geeinigt finden werde in dem Bestreben, 
die innern Schwierigkeiten zu überwinden und diejenige kraftvolle Geschlossenheit und Einheit wieder 
zugewinnen, die allein gewährleistet, daß unser Land heil, kräftig und lebensfähig aus der gefähr 
lichsten Krise der letzten hundert Jahre hervorgehen wird." 
Im Verlaufe der Diskussion wurde besonderes Gewicht auf die Betonung einer völlig 
einwandfreien Neutralität gelegt. Bundesrat Hoffmann erklärte: 
„Die Neutralität betrachten wir als den Grundpfeiler unserer Existenz. 
Sie entspricht unserer Geschichte, unseren Grundsätzen, unserer Verfaffung, unserem Volkswillen. 
Die loyale Wahrung der Neutralität muß unser aller Bestreben sein. Wohl sind mit ihren Pflichten 
auch Rechte verbunden, die unS freilich geschmälert worden find. Aber doch ist unsere Unabhängig 
keit, unsere politische Freiheit und Selbständigkeit nicht angetastet, sondern respektiert worden. Die 
Neutralität ist die Richtlinie unserer Politik." 
Nach dieser und ähnlichen Erklärungen, die eine deutliche Zurückweisung der im 
Oberstenprozeß ausgesprochenen Ansichten darstellten, war der Weg zu einer Verständigung 
geebnet. So wurde denn auch bald die Einigungssormel gefunden, die lautete: 
„Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nachdem sie sich von der Not 
wendigkeit der Aufrechterhaltung der Vollmacht überzeugt hat, die dem Bundesrat durch Bundes 
beschluß vom 3. August 1914 erteilt worden ist; nachdem sie Kenntnis genommen hat von der Er 
klärung des Bundesrates, daß er von dieser Vollmacht wie bisher Gebrauch machen wird für die 
Behauptung der Sicherheit, Integrität und Neutralität des Landes und für die Beobachtung einer 
strengen Unparteilichkeit gegenüber allen Kriegführenden, wie dies in Ziffer 1 der bundesrätlichen 
Verordnung vom 4. August 1914 festgesetzt ist; nachdem der General als Oberbefehlshaber der 
Armee vor den Kommissionen beider Räte die Erklärung abgegeben hat, daß er mit dem Bundes 
rat in allen diesen Punkten stets einig ging und einig gehen wird — in der Meinung, daß diese 
Erklärungen für alle diejenigen verbindlich sind, die über die Unabhängigkeit und Neutralität des 
Landes zu wachen haben; nachdem sie Kenntnis genommen hat von der Zusicherung des Bundes 
rates, daß er für jede Session der Bundesversammlung Bericht erstatten werde über die von ihm 
kraft seiner Vollmacht getroffenen Maßnahmen — beschließt: Der zweite Bericht des Bundesrates 
vom 19. Februar 1916 über die von ihm auf Grund des Bundesbeschluffes vom 3. August 1914 
getroffenen Maßnahmen wird genehmigt." 
In seiner Schlußrede sagte der Präsident des Nationalrates u. a. folgendes: 
„Wenn auch das Ergebnis der Abstimmung nicht eine vollständig einmütige Kundgebung darstellt, 
so hat doch die große Mehrheit den festen Willen bezeugt, dem Bundesrat und der Armeeleitung 
ihr volles Vertrauen wie bis anhin auch weiter zu schenken. Damit soll auch das Trennende, das 
Welsch- und Deutschschweizer in den letzten Monaten entzweit hat, verschwinden, und einig wollen 
wir den kommenden Ereigniffen, die unser Vaterland noch treffen können, entgegensehen. Wir 
haben in langer Debatte freimütig und offen miteinander gesprochen, wie es sich unter Eidgenossen 
ziemt, und ich anerkenne dankbar, daß Ruhe, Besonnenheit und Würde die Diskussion geleitet 
haben. Unser schweizerisches Parlament hat damit bewiesen, daß es auch in der heftigsten Fehde 
der Würde nicht vergißt, die ihm in den Tagen des Friedens eigen ist. Die Demokratie hat die
	        
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