Zusammenfassende Darstellung
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„@o war Anfang September 1915 der großzügige Operationsplan der deutschen und
österreichisch-ungarischen Heeresleitung gegen die Front und die beiden Flanken der rusfi-
schen Streitmacht, dessen Ausführung anfangs Januar 1915 mit dem Aufstieg einer
Heeresgruppe der Verbündeten von Ungarn aus in den Karpathen (vgl. VI, S. 88 f.) be
gann, zu einem gewissen Abschluß gebracht," schreibt General der Inf. z. D. von Blume
in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" (22. VIII. 15), „fünfzehn Festungen (Rozan,
Pultusk, Ostrolenka, Warschau, Jwangorod, Zegrze, Lomza, Kowno, Nowo-Georgiewsk,
Osowiec, Olita, Brest-Litowsk, Rozyszcze, Luck und Grodno waren in den Tagen vom
24. Juni bis 4. September 1915 erobert, die russischen Streitkräfte um mehr als eine Million
Mann geschwächt und ungeheure Mengen Kriegsgerät gewonnen worden. Damit war das
erste Ziel des Planes der Verbündeten, Galizien und die Bukowina von den eingedrungenen
Feinden zu befreien, fast vollständig, das zweite, die russische Streitmacht über die Weichsel
zurückzuwerfen, in viermonatlichen beispiellosen Angriffs- und Verfolgungskämpfen voll
ständig, das dritte Ziel, sie von beiden Flanken her zusammenzudrücken, so weit er
reicht, daß es sich nur noch darum handelte, ob der in das Innere Rußlands zurück
kehrende Bruchteil der russischen Armee nach Zahl und Beschaffenheit noch genügte, um
daraus im Verlaufe absehbarer Zeit leistungsfähige Streitkräfte von nennenswerter Stärke
wieder herzustellen."
Auf ihrem Rückzug, der sie fortgesetzt Tausende von Gefangenen und viel Kriegs
material kostete, verfuhren die Russen, wie H. Stegemann im „Bund" (10. VIII. 15)
hervorhob, „mit einer fanatischen Selbstentäußerung, wie sie vielleicht nur der Slawe kennt,
nach den uralten Rezepten ihrer Verwüstungsstrategie, indem sie die Ernten vernichteten,
alle Städte und Dörfer anzündeten, Bahnen und Fabriken sprengten und die Bevölkerung
wegführten. Das ist eine Kriegsführung primitiver Zeiten, die in primitiven Verhält
nissen auch von unleugbarer Zweckmäßigkeit war, aber nicht mehr in unsere Zeit paßt,
da sie die Kulturgüter des eigenen Volkes vernichtet und durch die moderne Technik zum
großen Teil unwirksam gemacht worden ist." Trotzdem konnte die russische Heeresleitung
nicht mehr verhindern, daß ihre Front durch das vom Pripjet gespeiste Sumpfland der
Poljesje (Rokitnosümpfe) in zwei Teile zerrissen wurde, die sich nur noch durch ört
liche Umgehung dieses Geländes unterstützen konnten, was um so störender war, als
die größte Breite der Poljesje zwischen Bug und Dnjestr 450 Kilometer beträgt.
Dagegen bot die deutsch-österreichisch-ungarische Front dank ihrer Verkürzung von
1500 auf kaum mehr 1000 Kilometer und der Besitz der Festungen eine unerschütterliche
Defenstvstellung und überlegene Offensivstellung, der zur Vollendung nur noch die Er
oberung der Linie Riga—Dünaburg—Wilna aus dem linken Flügel und die völlige
Säuberung Galiziens und restlose Zertrümmerung des wolhynischen Festungsdreiecks am
rechten Flügel fehlten. Da aber auch diese Operationen mit verminderten Kräften aus
führbar schienen, waren die Mittelmächte schon jetzt in der Lage, Armeen zu entschei
denden Unternehmungen auf dem Balkankriegsschauplatz (vgl. Band XIII), wo sie ein ver
mindertes Widerstandszentrum der Entente erblickten, frei zu bekommen.
Die „Times" hatte Mitte August 1915 der Vermutung Raum gegeben, daß die
deutsch-österreichisch-ungarische Offensive im Osten nicht aus Moskau sondern auf Peters
burg ziele. Diese Vermutung bekräftigte H. Stegemann im „Bund" (15.VIII. 15); „Es war
von vornherein klar," schrieb er in kluger Erkenntnis der damaligen Kriegslage, „daß eine
uferlose Vorbewegung der Verbündeten nach Osten nicht stattfinden werde..., da Rußland
seine Lebenspunkte nicht nur im Innern hat, wo Napoleon sie suchte, sondern jetzt an der
Peripherie, wo Riga und Petersburg im Norden, Kiew und Odessa im Süden dem russischen
Kolossalbau als Sockel dienen. Ob aber die Verbündeten die im Norden angesetzte exzentrische
Offensive so weit ausdehnen und ergänzen, daß sie so weit gelangen, oder ob sie sich mit dem