Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

184 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
Auch die Behauptung, die Verbündeten würden alle zurückgebliebenen Männer zwangs 
weise in ihre Armeen einreihen, wurde dazu benutzt, die Bevölkerung zur Auswanderung 
zu zwingen. So hat der Gouverneur von Lublin, nach der „Neuen Zürcher Zeitung", 
Ende Juni 1915 auf Grund eines Befehls des Höchstkommandierenden eine Verordnung 
erlassen, nach der künftig, wenn die russische Armee eine Ortschaft verläßt, alle Männer 
verpflichtet sind, ihr zu folgen, damit sie nicht in die Armee des Feindes eingereiht werden. 
Die Evakuierung so weiter Landstriche hatte eine Massenzuwanderung der Zivil 
bevölkerung, meistens der polnischen und ruthenischen, nach dem Südwesten Rußlands 
zur Folge. Die Eisenbahnen konnten nicht in Anspruch genommen werden, und die 
Einwohnerschaft ganzer Dörfer legte den großen Weg zu Fuß zurück. Die Kinder und 
das Hausgerät wurden auf den Schultern getragen oder in Wagen geführt, die man, 
wegen Mangels an Pferden, selbst schleppte. Die Zahl der Einwanderer aus dem 
Bezirk Lemberg z. B. belief sich im Gouvernement Wolhynien Anfang Juli 1915 
auf 80000, zu deren Beherbergung die Kiewer und Schitomirer Semstwos sowie alle 
anderen gesellschaftlichen Organisationen sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Mittel 
und Kräfte aufgeboten haben. Das Kiewer Stadthaupt Djakow erklärte, nach Mel 
dungen der „Neuen Zürcher Zeitung", er könnte aus keinen Fall eine so große Anzahl 
Einwanderer in die Stadt hereinlassen, solange ihm zuverlässige Angaben über die sani 
tären Zustände unter den Flüchtlingen fehlten. Es ist deshalb vom Kiewer Semstwo 
beschlossen worden, in einigen Dörfern des Kiewer Bezirkes eine Art Quarantäne ein 
zuführen, wozu die Schulgebäude der Semstwos während der Sommerferien benutzt werden 
konnten. Erst nach durchgeführter Kontrolle wurde den Wanderern die Weiterreise ge 
stattet. Waren die Bewohner mit den Truppen abgezogen, plünderten die Kosaken, 
raubten oder zerschlugen die Habseligkeiten, die der Besitzer nicht mitnehmen konnte, und 
zündeten die Häuser an, wenn die Annäherung der verbündeten Truppen zur Flucht zwang. 
Wie es in diesen Dörfern aussah, als die Verbündeten einzogen, schildert ein Feld 
postbrief, der im „Berliner Tageblatt" veröffentlicht wurde. Es heißt darin: „Zehn, 
zwölf, fünfzehn Brandsäulen stehen um uns herum zugleich am Horizont. Grandios 
wirkt das Schauspiel des Nachts, grandios-schaurig. Alles verbrannt, alles zerstört. 
Nur die Schornsteine und Feuerplätze der polnischen Lehmhütten sind meist übriggeblieben. 
Eine Ruine reiht sich an die andere. Da und dort haben die polnischen Bauern ihr 
Mobiliar zu retten versucht. Betten, Schränke usw. stehen in den Gärten ausgestellt. 
Die Bewohner sind verschwunden. Im Felde laufen grunzend und quietschend die 
herrenlosen Schweine umher. Die Hühner sind heimatlos und gackern in den Ruinen. 
Und die Hunde! Sie schleichen wie krank, wie tödlich verwundet um die Ruinen herum. 
Nichts erhöht so das Grauen der Verlassenheit dieser verbrannten Wohnstätten wie 
diese zottigen Riesenhunde in ihrer stummen Trauer." 
Noch eindringlicher ist die Schilderung eines Augenzeugen in der „Dspöche de Tou 
louse", der als der Erzählung eines Franzosen in einer französischen Zeitung besondere 
Bedeutung zukommt. Der französische Schriftsteller, der der russischen Armee auf ihrem 
Rückzug durch Polen gefolgt ist, bestätigt, daß die Russen rücksichtslos und systematisch 
Leben und Eigentum der Polen vernichteten und schreibt: „General Smirnow hatte den 
Befehl erteilt, daß rings um die Stadt Warschau in einer Breite von 300 Werst alles 
zerstört und verbrannt werden sollte. Dies schien nach seiner Meinung das einzige Mittel, 
um den Vormarsch der feindlichen Heere auszuhalten, dieser „Geisterheere" mit ihrer un 
heimlichen Schnelligkeit, die plötzlich am San verschwinden, um bereits nach zwei Tagen 
in Kurland aufzutauchen; dieser „diabolischen" Heere, die durch die Lust zu fliegen 
scheinen. Kaum hatte der General den Befehl erteilt, als auch schon Stafetten zu 
Pferde und zu Rad nach allen Richtungen davonjagten. Feuer! Feuer überall! Feuer
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.