Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

176 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
Die Eindrücke dieser letzten Nacht hat der italienische Kriegsberichterstatter Ferri- 
Pisani unter der Ueberschrift: „Ein letzter Blick auf Warschau" in der Türmer „Stampa" 
nach der Uebersetzung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" folgendermaßen ge 
schildert: „Der letzte Gouverneur von Russisch-Polen durchmaß, als er mich emp 
fing, mit langen unruhigen Schritten den großen Saal eines großartigen leeren 
Palastes, dessen Möbel, sämtliche Möbel, sogar die Treppenläufer und die Gardinen 
stangen, weggeschafft worden waren. Die Messtnggriffe der Türen hatte man los 
geschraubt, um auch ste nach Moskau zu bringen. Zurückgeblieben waren nur ein 
Küchentisch und ein Feldbett. Der letzte Gouverneur war ein alter Herr, aber die 
Aufregung gab seinen Bewegungen die Lebhaftigkeit des Jünglingsalters. „Was! Sie 
sind immer noch in Warschau!" rief er, als er mich anblickte, „und die Preußen stehen 
schon vor den Toren! Reisen Sie sofort ab, das rate ich Ihnen; morgen wird man 
in Brest-Litowsk vielleicht keinen Zivilisten mehr durchlassen. Heute abend schon werde 
ich und meine Adjutanten drüben aus dem rechten Ufer in einem Sonderzug schlafen, 
weil auch wir sonst dem Feind in die Hände fallen könnten. Die Brücken sind unter 
miniert, und alles, was hier russisch war, ist fort. Es bleiben nur noch ein paar 
Gendarmen in der Stadt, und bald werden auch sie Abschied nehmen müssen." In 
diesem Augenblick hörte man ein Pfeifen, dem ein durch das Niederfallen eines Metall 
gegenstandes verursachtes Gekrach folgte; eine Fensterscheibe des Saales, in dem wir 
standen, ging in Stücke. Ein Adjutant trat ins Zimmer: „Exzellenz," meldete er, „auf 
den Palast ist eine Bombe gefallen." Ein Lächeln ging über das Gesicht des Gou 
verneurs: „Eine Bombe?" sagte er. „Ja, ist denn der Feind geschlagen worden?" 
„Bomben aus Warschau, deutsche Mißerfolge vor Warschau!" erklärte der Adjutant. 
„So oft die Preußen eine Niederlage erleiden, schicken sie ihre Flieger aus. Wenn der 
Feind sicher wäre, daß er einziehen könnte, würde er Aufrufe an das Volk fallen lassen, 
nicht Bomben. „Hören Sie das Donnern unserer schweren Geschütze, Exzellenz?" Der 
Kanonendonner kam deutlich zu unseren Ohren, und als Begleitmusik trat bald das 
Geplätscher eines heftigen Platzregens hinzu. „Der Regen," sagte der Gouverneur, 
„wird vielleicht die deutsche Artillerie auf den aufgeweichten Wegen festsitzen lassen." 
Wir begannen wieder zu hoffen; aber die Hoffnung dauerte nicht lange: General 
Smyrnow schickte einen Boten, der für die Fortschaffung der russischen schweren Ge 
schütze, die in Mokotow in Gefahr wären, an tausend Pferde verlangte. Das war 
das Ende! . . . und ich verließ den Palast des Gouverneurs. 
Während ich durch den sächsischen Garten ging, traf ich einen Bekannten, einen Polen 
aus Galizien. „Wie!" sagte ich, „Sie noch hier? Der Gouverneur hatte doch unter An 
drohung schwerer Strafen befohlen, daß alle Polen, die deutsche oder österreichische 
Untertanen seien, abzureisen hätten!" „O," antwortete er lachend, „mich haben sie ver 
gessen. Es müßten noch zehn Kriege wie dieser kommen, ehe das russische Beamtentum 
von seinem Schlendrian ließe!" . . . 
Da ich wußte, daß mein Bekannter den Russen nicht besonders hold war, wollte ich 
auch die Ansicht anderer Leute kennen lernen. Ich ging also in den polnischen National 
ausschuß und plauderte mit Großgrundbesitzern, Rechtsanwälten, Großkaufleuten: „Im 
Grunde bedauern wir die Russen," sagte einer dieser Herren, „ihre Taten entsprechen 
zwar nicht immer ihren Absichten, aber alles in allem konnte man mit ihnen aus 
kommen." „Bei einigem guten Willen," nahm ein anderer das Wort, „werden wir 
auch unter der deutschen Herrschaft unser Leben ruhig weiter führen können. Wir 
müssen der Wahrheit gemäß gestehen, daß sich in den eroberten polnischen Städten kein 
Mensch über die Deutschen beklagt. Ihre Gesetze sind streng, aber wer sie beachtet, 
kann in Ruhe leben und sich seinen Angelegenheiten widmen."
	        
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