Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

174 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
ergab, eine Bürgermiliz und eine freiwillige Feuerwehr zu organisieren. Die Kreise der 
Intelligenz harrten dagegen aus und schienen entschlossen, den deutschen Einmarsch 
abzuwarten. Erst in den letzten Tagen, als die Kolonnen des Trains und der 
Rückzugstruppen in endloser Folge die Straßen überschwemmten, deutsche Flieger immer 
häufiger über der Stadt kreisten und die Brücken bombardierten, der Donner schwerer 
Krupp- und Skoda-Geschütze immer lauter wurde, sind auch fie von der allgemeinen 
Nervosität ergriffen worden und brachen in überstürzter Eile auf. Das Polenblatt 
„Goniec" veröffentlichte deshalb folgenden Aufruf: „Gekommen ist der Tag der Sühne, 
des Triumphes und der Erlösung; es naht der entscheidende Moment; Warschau wird 
siegreich daraus hervorgehen; die Ehre gebietet es, hier zu bleiben. ... 
Für die Scharen unbemittelter Flüchtlinge sorgte das bürgerliche Zentralkomitee, dem 
die Großfürstin Tatjana Nikolajewitschowna und Senator Neidthart präsidierten. Die 
Scharen der Hilfsbedürftigen vermehrten sich durch die Kaufleute und Fabrikanten, 
deren Waren und Betriebsmittel von den russischen Truppen requiriert worden waren, 
ohne daß sie vom Staat eine Kopeke dafür erhielten. Die zweite Hilfseinrichtung war 
das Bürgerkomitee der Stadt Warschau, das an viele Tausende unentgeltlich Mahlzeiten 
verabreichte. Daneben betätigte sich die anfangs Juli gegründete Abteilung für Flüchtlinge 
aus Lowitsch. Auch das jüdische Zentralkomitee in Petersburg half nach Kräften. Für sie 
alle war die Devise: nationale Selbsthilfe ohne staatliche Subvention.... Aber all diese Be 
strebungen waren der Größe des sich ihnen darbietenden Elends bald nicht mehr gewachsen." 
Ein Lemberger Bürger, dem es gelungen war, aus dem belagerten Warschau über 
Petrikau zu entkommen, berichtete, nach Mitteilungen aus dem K. u. K. Kriegspresse 
quartier, daß sich die Wellen des Rückzuges, die die Straßen Warschaus mit Trains, 
Roten-Kreuz-Wagen, Artillerie- und Fußtruppen Tag und Nacht überschwemmten und 
aus den niedergebrannten Dörfern elende zugrunde gerichtete Menschen auf Bauernfuhren 
mitschleppten. Ansang August 1915 nach und nach legten. Die Flut verebbte, das Chaos 
entwirrte sich. Drohende Stille lastete über der Stadt, die immer wieder von Geschütz 
donner erschüttert wurde. Viele Straßen waren abgesperrt, Militärposten bewachten die 
Brücken. Die Amtsgebäude waren von dichten militärischen Spalieren umgeben. Die 
Bürgersteige waren mit Militärpolizei besetzt. Zwischendurch drängten sich Schwestern 
vom Roten Kreuz, Damen vom Labedienst, ältere Herren mit Armbinden als Bürger 
miliz usw., Autos und Wagen mit fliegenden Sanitätsverpflegungsabteilungen des Zentral 
bürgerkomitees, mit Nahrung, Medikamenten und Aerzten, sausten hin und her. Immer 
wieder ertönte das Surren der deutschen Flugzeuge. Dann folgte eine panikartige Flucht, 
deren Schrecken durch die sich immer wiederholenden Explosionen noch vermehrt wurde. 
Die freiwillige Feuerwehr arbeitete an allen Ecken und Enden, um die zahlreichen Brände 
zu löschen. Viele Läden wurden gesperrt. Auf den Straßen sah man keine Männer 
und jungen Leute. Alle hatten sich verborgen aus Angst, scheinbar Arbeitskolonnen 
einverleibt, in Wahrheit aber sofort „aus Position", d. h. in die Feuerlinie ge 
trieben zu werden. Es war streng verboten, auf den Straßen stehen zu bleiben und 
sich zu unterhalten. Massenhaft fanden Verhaftungen Verdächtiger statt. Trotzdem 
wurden geheime Aufrufe verbreitet, in denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, den 
Militärbehörden Widerstand zu leisten, da die Stunde der Abrechnung mit Rußland 
geschlagen habe und jeden Augenblick der Einzug der Deutschen erwartet werde. Es 
gingen schließlich keine Evakuierungszüge mehr ab, seitdem die letzten Truppen mit dem 
Kriegsmaterial die Stadt verlassen hatten. Die Diktatur des Generalgouverneurs 
Engalqtschew wurde durch die Militärdiktatur des Festungskommandanten abgelöst. Die 
Feldkriegsgerichte verhängten massenhaft Todesurteile. Täglich wurden Exekutionen auf 
der Zitadelle ausgeführt. Die Ochrana fahndete nach verkappten Deutschen. Zivil-
	        
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