Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

320 Frankreich während des dritten Kriegshalbjahres 
Bezeichnend ist auch, daß zwei englische Sozialisten, John Hodge, der Vorsitzende der 
Labourpartei, und der Gewerkschaftler Adolf Smith, Mitglied des Sozialist National 
Defence Committee mit Zustimmung der englischen und französischen Regierungen in 
Frankreich eine Vortragsrundreise unternehmen, um durch den Hinweis aus den britischen 
Kraftaufwand den Mut der französischen Sozialisten zum Aushalten zu stählen. 
Vom 24. bis 30. Dezember 1915 tagte dann der Nationalkongreß der fran 
zösischen sozialistischen Partei in Paris, an dem außer den Ministern Sembat, 
Guesde und Albert Thomas auch der belgische Minister Vandervelde teilnahm. 
Da die Regierung nach dem ersten Verhandlungstage jede Berichterstattung an die 
Presse verboten hatte, ist nur der Beschlußantrag bekannt geworden, der am Schluß der 
Verhandlungen nach dem „Matin" mit 1236 Stimmen gegen 76 bei 102 Stimmen 
enthaltungen angenommen wurde. Darin wird zunächst festgestellt, daß die Partei, die 
wie ganz Frankreich, in Erwiderung des brutalen Angriffs ohne Eroberungsabsichten 
in den Krieg eingetreten sei, so lange im Kriege verharren werde, bis das Gebiet des 
Landes befreit und die Bedingungen eines dauerhaften Friedens sichergestellt seien. 
Unter den Bedingungen eines dauerhaften Friedens verstehe die Partei, daß die kleinen 
Märtyrernationen, Belgien und Serbien, die aus ihren Trümmern wieder erstehen 
müßten, in ihrer wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit wiederhergestellt würden. 
Die unterdrückten Völkerschaften Europas müßten das freie Verfügungsrecht über sich 
selbst wiedererhalten, und das Band zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen, das 
1871 nur durch brutale Gewalt zerrissen worden sei, müsse wiederhergestellt werden. 
Frankreich werde sich dabei vorausschauend und gerecht zu erweisen verstehen, indem 
es Elsaß-Lothringen auffordere, selbst von neuem feierlich seinen Willen, der französischen 
Gemeinschaft anzugehören, kundzutun. Die Kundgebung fordert die Regierungen der 
Verbündeten auf, alle Eroberungspolitik zurückzuweisen und sich genau an den Notonali 
tätsgrundsatz zu halten. Ein fester Ausbau des Völkerrechts erscheine der sozialistischen 
Partei als die sicherste Gewähr für einen dauernden Frieden. Indem die Verbündeten 
Schiedsgerichtsverträge für alle künftigen Streitigkeiten schüfen, würden sie den Weg, 
für die einzige Gewähr eines dauerhaften Friedens erschließen. Durch Beschränkung, 
der Rüstungen, nach Abschaffung der geheimen Diplomatie und Organisation der wirt 
schaftlichen und militärischen Bestrafung von Nationen, die sich eine Vergewaltigung 
haben zuschulden kommen lassen, werde die Welt die normale Entwicklung von Frieden 
und Fortschritt ins Auge fassen können. Die sozialistische Partei lehnt die politische 
und wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands ab, hält aber die des preußischen Mili 
tarismus für notwendig, der für die Sicherheit der Welt und für Deutschland selbst gefähr 
lich ist. Die Wiederaufnahme der Beziehungen mit den deutschen Sozialdemokraten wird erst 
dann ins Auge gefaßt werden können, wenn diese den Grundsätzen der Internationale 
wieder Kraft und Leben gegeben haben werden. 
Der Kongreß beauftragte die sozialistischen Abgeordneten, weiter durch Bewilligung 
der Kredite die Mittel zu sichern, den Sieg zu erreichen und die nationale Ver 
teidigung zu verstärken, erklärt sich einverstanden, daß kein Sonderfriede geschlossen werden 
solle, und erinnert schließlich alle militanten Sozialisten daran, daß die Einigkeit der 
Partei mehr denn je eine gebieterische Notwendigkeit ist. 
Eine besondere politische Bedeutung kann diese ganze Komödie des sozialistischen 
Parteitages nicht beanspruchen. Vereinzelte reaktionäre Blätter lobten seinen Patrio 
tismus, andere, wie der „Temps" und der „Petit Parisien" entrüsteten sich darüber, 
daß das Schicksal Elsaß-Lothringens von einem Plebiszit abhängig gemacht werden 
solle. Und die republikanische Parteipresse würdigte den sozialistischen 
Parteitag nicht einmal einer Besprechung.
	        
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