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318 Frankreich während des dritten Kriegshalbjahres 
Der ftanzöflsche Sozialismus und der Krieg 
Wenn auch die Kriegsverhältnisse schon gleich bei Kriegsbeginn mannigfache Miß 
stimmungen innerhalb des französischen Sozialismus hervorgerufen hatten, wenn man 
sich auch über die Zensur beklagte, die schreckliche Desorganisation des Verkehrswesens 
schmerzlich empfand, die soziale Fürsorge für ungenügend erachtete und das Empor 
kommen des Klerikalismus mit Empörung verfolgte, sich über die Maßnahmen der Pariser 
Polizei, „die Liste der Verdächtigen" und die Aufhebung der Gemeindefreiheiten durch 
das Pariser „Sicherheitskomitee", entrüstete und selbst über die Kriegsziele durchaus keine 
Einigkeit herrschte, konnte sich die Regierung doch stets auf den französischen Sozialis. 
mus stützen, dessen Führer erklärt hatten, sich während des Krieges in den Kammer 
sitzungen zur Aufrechterhaltung der Einigkeit jeder Diskussion zu enthalten. 
Vaillant, der an Stelle von Jaures bis zu seinem Tode Ende Dezember 1915 zusam 
men mit Compere-Morel die Leitartikel der „Humanits" verfaßt, schrieb Ende November 
1914: Bei gleichzeitiger Ablehnung aller Annexionsideen müsse der Krieg solange fort 
gesetzt werden, bis der deutsche Imperialismus vernichtet sei. Mit ihm verhandeln, 
heiße mit ihm Frieden machen. Wenig später verlangt er ausdrücklich eine Verschärfung 
des Kampfes und ist bis zur nationalen Selbstpreisgebung bereit, die Hilfe Japans 
gegen Deutschland zu erkaufen. Auch das Manifest der französischen sozialdemokratischen 
Partei vom Ende des Jahres 1914, in dem die deutsche Sozialdemokratie erwähnt und 
Liebknechts Haltung als heldenmütig gefeiert wurde, ist vom „Temps" als wertvolle 
Unterstützung der nationalen Disziplin bezeichnet worden. Selbst der Aufruf der deut 
schen Sozialdemokraten Haase, Bernstein und Kautsky, wie die Friedenserklärung der 
deutschen Sozialdemokratie verhallten wirkungslos. 
Dieser Chauvinismus, dieser Wille, den Krieg bis zum äußersten fortzusetzen, kam am 
deutlichsten in den Sitzungen des Nationalkongresses der französischen sozia 
listischen Partei am 7. Januar 1915 in Paris und des sozialistischen Kongresses 
in London am 7. Februar 1915 zum Ausdruck. Auf der ersten Tagung billigten die 
Vertreter der französischen Sozialisten zunächst die Haltung der Parteileitung seit dem 
Kriegsausbruch, worauf Minister Guesde in einer Rede ausführte, Frankreick bekämpfe nicht 
das deutsche Volk, sondern nur den preußischen Militarismus. Herve erklärte, der 
Friede müsse die Befreiung der Völker und den Triumph des Nationalitätenprinzips 
bringen, und Minister Sembat betonte, die französischen Sozialisten wollten einen 
Frieden, der die allgemeine Abrüstung, die internationale Kontrolle über die Waffen 
fabrikation und die obligatorische Einführung von Schiedsgerichten in allen Konflikten 
festsetze. Voreilige Chauvinisten hätten die Zerstückelung Deutschlands gefordert. In 
folge dieser Drohung habe sich das ganze deutsche Volk wie 1813 erhoben. Die Londoner 
sozialistische Konferenz müsse laut erklären, daß die Sozialisten gegen jede Eroberung sind. 
Ueber die Londoner Sozialistenkonferenz ist (Bd. IX, S. 331) bereits berichtet worden. 
Seine Tagesordnung und die Bemerkungen von Sembat und Guesde, daß die Völker 
frei über sich verfügen müßten, und daß die französischen Sozialisten nach dem Kriege 
den deutschen Sozialisten die Hand reichen wollten, sowie die Tatsache, daß beide 
Minister an der einstimmigen Resolution gegen Rußland teilgenommen hatten, veran« 
laßte den Abgeordneten Chaumet in der Kammerfltzung vom 18. Februar 1915 zu einer 
Anfrage, auf die Viviani in Kammer und Senat unter lebhaftem Beifall antwortete, die 
Regierung wiederhole, daß sie ohne Schwäche und ohne Ermatten in Uebereinstimmung 
mit den Verbündeten den Krieg bis zum Ende (einstimmiger Beifall auch von Sembat 
und Guesde), bis zur Befreiung Europas, bis zur materiellen und politischen Wieder 
herstellung Belgiens, bis zur Wiedereinverleibung Elsaß-Lothringens fortsetzen werde.