Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Parlament und Regierung Frankreichs nach der Kriegserklärung an Bulgarien 303 
noch in Paris sei oder nicht vielmehr in Chantilly, dem Sitz des Hauptquar 
tiers. Es wurde dem Ministerpräsidenten Briand nicht schwer, unter Anrufung der 
patriotischen Gesinnung die Vertagung dieser Interpellation durchzusetzen. Er ver 
sicherte, daß die Regierung die politische und diplomatische Leitung des Krieges habe 
und auch die militärischen Operationen kontrolliere, daß sie aber jede Einmischang in 
die im Gange befindlichen Operationen ablehne, zumal General Joffre ihr volles Ver 
trauen besitze. Die Kammer möge nicht vergessen, daß die Armeeleitung mit einem 
Feinde zu rechnen habe, „den sie sich seit 18. Januar auf Armeslänge vom Leibe halte." 
Die allgemeine Erregung und der Unwille gegen die zuständigen Stellen über die 
ungenügende Verteidigung von Paris gegen Zeppelin-Angriffe kam in der 
Kammersitzung vom 1. Februar 1916 zum Ausdruck, und zwar in der Form einer Inter 
pellation des Pariser Deputierten Dejeante, des Vertreters des Wahlbezirks, der am 
meisten unter den Wirkungen des Zeppelinangriffes zu leiden hatte. Ueber die Verhand 
lungen ist schon an anderer Stelle kurz berichtet worden (vgl. 198 f.). Bezeichnend aber 
ist, daß sich die allgemeine Mißstimmung und Nervosität abermals in lärmenden Kund 
gebungen gegen den Kr i e g s m i n i st e r Lust machte, als er in Beantwortung einer Inter 
pellation über das Verbot der Alkoholverabreichung an Soldaten, die An 
ordnungen des Generals d'Amade verteidigen wollte (vgl. S. 217), die durch den zunehmen 
den Alkoholismus hinter der Front gerechtfertigt seien. Die Sozialisten und Sozialistisch- 
Radikalen erschöpften durch ihre Zwischenrufe und ihren Radau die Geduld des Kriegs 
ministers so sehr, daß er die Rednertribüne verließ und durch Verlassen des Saales der ganzen 
Kammer nicht mehr weiter Rede zu stehen sich anschickte. Der Justizminister Viviani rettete 
die Situation, indem er den Kriegsminister unter dem Beifall der Kammer zurückholte, 
noch ehe er die Ausgangstür des Saales erreicht hatte, und damit der Ministerkrisis 
vorbeugte, die aus diesem Vorgehen Gallienis sich zu entwickeln drohte. Galliern er 
klärte bewegt, er verstehe nicht, warum man ihn am Sprechen hindere und versprach, 
den Umständen gemäß Aenderungen zu treffen. 
Dieser Zwischenfall aber und die Debatte anläßlich der Interpellation des Abgeord 
neten Accambray brachte die Frage der Parlamentskontrolle über die Kriegs 
verwaltung, die längere Zeit nicht mehr zur Sprache gekommen war, aufs neue in Fluß. 
Die Vertrauensmänner der Fraktionen begaben sich am 3. Februar 1916 zu dem Minister 
präsidenten und stellten ihm die Frage, wann die von feinem Vorgänger Viviani in 
Aussicht gestellten Garantien für die Durchführung der Parlamentskontrolle auf dem 
Schlachtfelde endlich gegeben würden. Briand versprach, mit dem Kriegsminister die 
Mittel zur Durchführung einer planmäßigen Parlamentskontrolle zu prüfen. 
Die Anträge der Sozialisten auf Durchführung der Parlamentskontrolle durch einen 
ständigen, aus Vertretern der Kammer und des Senats zusammen 
gesetzten Ausschuß, wurden allerdings von den Parteivorständen der Kammer ab 
gelehnt, auch von den Radikal-Sozialisten, weil sie die Kontrolle durch Delegierte der 
bestehenden Kommissionen für genügend erachteten, unter der Voraussetzung, daß der 
Kriegsminister sich endlich entschließe, die Bewegungsfreiheit dieser Kommissionsmitglieder 
an der Front zu sichern. Daraus brachte der Abgeordnete der Vogesen, AbelFerry, im 
Auftrag der Armeekommission am 18. Februar 1916 den Antrag ein, die Kammer 
möge die Regierung ersuchen, dem Kontrollrecht der Regierung gegenüber der Heeres 
leitung Achtung zu verschaffen. Die Kommission beantragte die sofortige Dis 
kussion und Annahme der Tagesordnung. Briand erklärte gleich zu Beginn der De 
batte, daß die Regierung die sofortige Behandlung der Frage ablehne. Das Kontroll 
recht der Regierung werde in normaler Weife ausgeübt. Im übrigen habe die Re 
gierung in dieser Hinsicht die erforderlichen und den Wünschen des Parlaments ent-
	        
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