Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

288 Frankreich während des dritten Kriegshalbjahres 
Abrechnung über die Ursachen der diplomatischen Niederlage des Vierverbandes auf dem Balkan, für 
die Delcassö sicherlich nicht allein, sondern mit Sir Edward Grey und Ssasonow verantwortlich ist, 
auch die vorwärtsblickende Frage nach ihren Folgen und Gegenmaßregeln aufgeworfen wurde, die in 
der sofortigen Landung französisch-englischer Truppen in Saloniki und dem Plan der Balkanexpedition 
ihre Beantwortung fand. Aus verschiedenen Umständen und Andeutungen der Blätter kann man 
schließen, daß Delcasso von diesem Plan weit weniger erbaut war als der Ministerpräsident Viviani. 
Dieser und der Marineminister Augagneur haben sich allein Hals über Kopf nach London begeben, 
um die als Antwort auf die Entscheidung Bulgariens zu treffenden Maßregeln mit der englischen 
Regierung zu beraten. Herr Delcaffs blieb in Paris und wurde „krank". So übernahm allein der 
Ministerpräsident Viviani, bereits als vorläufiger Minister des Auswärtigen, die Verantwortung für 
den Balkanzug und die weitere Landung der Truppen, die er dann auch in seiner Erklärung vor der 
Kammer (vgl. S. 285 f.) als gemeinschaftliches Unternehmen der Verbündeten ankündigte. 
Ueber die Meinungsverschiedenheiten zwischen Delcaffe und dem Ministerpräsidenten sowie mit 
Poincare sind in den neutralen Blättern die verschiedensten Berichte veröffentlicht worden. So wußte 
der Berichterstatter der „Neuen Zürcher Zeitung" zu melden, Delcaffe habe es besonders unangenehm 
empfunden, daß sich der Präsident der Republik, Poincare, in die auswärtigen Angelegenheiten ein 
gemischt habe. Durch die Versicherung Poincarss, er wisse bestimmt, daß die Balkanstaaten die 
Zentralmächte am Durchbruch nach Konstantinopel verhindern würden, sei der Antrag Delcasses, 
eine ansehnliche Expedition zur Unterstützung Serbiens abzusenden, im Ministerrat abgelehnt worden, 
obgleich Delcaffe betonte, er sei überzeugt, daß nur die Entfaltung bedeutender Kräfte Griechenland, 
Rumänien und Bulgarien zum Anschluß an den Vierverband veranlassen könnten. 
Als die deutsch-österreichische Offensive gegen Serbien einsetzte und Bulgarien sich den Zentral 
mächten und der Türkei anschloß, war die Bestürzung der französischen Regierung außerordentlich. 
Die Frage einer Expedition stellte sich aufs neue, diesmal dringlich. General Joffre hielt ein gutes, 
aus seinen tüchtigsten Soldaten zusammengesetztes Armeekorps für unabkömmlich. Die verbündeten 
Mächte zeigten sich unentschlossen und die Besprechungen zogen sich in die Länge. Da Eile nottat, 
beschloß man, wiederum entgegen der Ansicht Delcasses, der darauf beharrte, daß nur eine groß 
angelegte Expedition Aussicht auf Erfolg biete, zunächst nur augenblicklich entbehrliche Truppen nach 
Saloniki zu schicken, die man je nach dem Gang der Ereignisse verstärken wollte. 
Der Pariser Korrespondent des „Genfer Journal" glaubte dem folgendes beifügen zu können: 
„Als König Konstantin Venizelos verabschiedete, hatte die mit Venizelos verabredete Landung der 
englisch-französischen Truppen in Saloniki, die zusammen mit der griechischen Armee den Serben zu 
Hilfe kommen sollten, bereits ihren Anfang genommen. Da sich nun nach dem Rücktritt des Kabinetts 
die allgemeine politische Lage in Griechenland geändert hatte, glaubte der französische Gesandte 
in Athen, Deville, den Befehl erteilen zu müssen, daß die Landung sofort eingestellt werde. Während 
Delcasse das Vorgehen des Gesandten durchaus guthieß, widerrief Viviani, der seit einigen Tagen 
vorübergehend das Auswärtige leitete, den Befehl des Gesandten und erteilte den Gegenbefehl zur 
Fortsetzung der Landung. Daraus entstand nun zwischen dem eigentlichen Minister des Aeußern und 
dem interimistischen Leiter eine Meinungsverschiedenheit, und so erklärt sich auch der Brief, den Del- 
casse an Viviani richtete, sowie die Behauptung Vivianis, daß über die gegenwärtig befolgte Politik 
zwischen dem Kabinett und dem Minister des Aeußern niemals Zwiespalt entstanden sei." 
16. Oktober 1915. 
Da in den Pariser diplomatischen Kreisen die Meinung vorherrscht, Viviani habe sich als Minister- 
prästdent durch die von ihm gutgeheißenen Schritte Delcassös nach mehreren Seiten hin zu weit 
engagiert, um jetzt einen neuen Kurs einschlagen zu können, hielt es das Kabinett zusammen mit 
dem Ministerpräsidenten für zweckmäßig, eine allseits anerkannte Autorität wie Leon Bourgeois zum 
Nachfolger Delcassss zu berufen. Leon Bourgois hat sich bereit erklärt, das Ministerium des Aeußeren 
zu übernehmen. 
19. Oktober 1915. 
Der französische Ministerpräsident Viviani tauscht mit Sir Edward Grey, Ssasonow und 
Sonnino Telegramme, in denen er erklärte, daß die Regierung, der Republik die Absicht habe, 
die Politik fortzusetzen, die sie bis jetzt gemeinsam mit den Verbündeten verfolgt habe. Grey, Ssa 
sonow und Sonnino erwiderten mit der Versicherung ihrer fortdauernden unveränderten Mitarbeit. 
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