Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Parlament und Regierung 
279 
zu lange geschwiegen hat, konnte all dies geschehen. Sie wollen mit der heiligen Einigkeit 
jegliche Unfähigkeit, jegliche Nachlässigkeit (lebhafter Protest in der Mitte und zur Rechten) 
und alle Verfehlungen des Sanitätsdienstes zudecken. (Lebhafte Bewegung, Lärm.) Ist 
es eine politische Frage, die wir behandeln? (Stimmen zur Rechten: Ja! Ja!) Dann 
mag die heilige Einigkeit bleiben, was sie ist, aber sie wird uns nicht verhindern, die ver 
brecherische Nachlässigkeit zu enthüllen, die seit einem Jahre im Kriegsministerium wütet. 
Die Rechte protestiert, die Linke klappert mit Pultdeckeln. Deschanel kann den Tumult 
erst beschwichtigen, als er bittet, derer zu gedenken, die kämpfen oder gefallen sind- 
Navare will fortfahren, kann sich aber, da der Lärm von neuem ausbricht, nicht ver 
ständlich machen. Die Sitzung wird aus eine halbe Stunde unterbrochen. Beim Wieder 
beginn forderte der Deputierte Lenoir, nachdem der Vertagungsantrag der Regierung 
aus den 26. August 1915 mit 273 gegen 188 Stimmen abgelehnt worden war, die Ver 
tagung auf den 20. August, was die Kammer mit 385 gegen 122 Stimmen annahm. 
Während dieser Pause hatten die Parteigruppen und die Regierung unter sich und 
miteinander eine Reihe von Besprechungen, in denen die große radikal-sozialistische 
Gruppe dem Ministerpräsidenten kundgab, daß sie nach all den Mängeln, die in der 
militärischen Verwaltung aufgedeckt worden seien, kein Vertrauen mehr auf Millerand 
haben könne. Die Minister Sarraut und Malvy, die an den Besprechungen der radi 
kalen Gruppe teilnahmen, wurden ermächtigt, vom Ministerpräsidenten genaue Angaben 
darüber zu verlangen, in welcher Weise er dem Wunsche der Kammer nach Aufklärung 
über die Gesamtlage auf den Kriegsschauplätzen und in den militärischen Dienstzweigen 
nachzukommen gedenke. Viviani lehnte es jedoch ab, den Kriegsminister fallen zu lassen 
und drohte mit der Vertrauensfrage. Und die Regierung antwortete nach dem Ministerrat 
vom 21. August, sie halte es nicht für angebracht, Erklärungen über die Lage abzu 
geben, deren Verbreitung in der Oeffentlichkeit den Feinden Frankreichs nützliche Auf 
klärungen geben könnte; sie habe deshalb beschlossen, die Kammer zu einem geheimen 
Komitee einzuberufen unter der Bedingung, daß dieses geheime Komitee von den Mit 
teilungen Kenntnis nimmt und sie erörtert, ohne daß jedoch sofort Beschluß gefaßt werden 
kann. Falls eine öffentliche Beratung nötig befunden werde, solle eine öffentliche 
Sitzung tags darauf stattfinden. 
Unterdessen versäumte die Regierung nichts, das Parlament mürbe zu machen. „Be 
reits am 15. August fand man, wie die „Frankfurter Zeitung" (21. VIII. 1915) hervor 
hebt, im hochoffiziösen „Temps" einen äußerst verfänglichen Vergleich zwischen den 
gegenwärtigen Zuständen in der Kammer mit denen, die im Hause der „Fünfhundert" 
herrschten, die bekanntlich von Bonaparte nach seiner Rückkehr aus Aegypten mit mili 
tärischer Gewalt davongejagt wurden. Von anderen rechtsstehenden Blättern wurde das 
offenkundige Vorhaben, die Regierungskrise unter der Hand zu einer Parlamentskrise 
umzubiegen, kräftig unterstützt, während die Presse der Linken durch Zensurmaßregeln, 
die bis zur Beschlagnahme der ganzen Nummern gingen, zum Schweigen gebracht 
wurde. Zweifellos ist hinter den Kulissen mit noch größerem Nachdruck, wenn auch mit 
weniger rauhen Mitteln daran gearbeitet worden, einen geschloffenen Aufmarsch gegen 
die Regierung zu vereiteln. Besonders waren wohl solche Bemühungen nach der Seite 
der Sozialisten hin gerichtet, denen der „Temps" mit sauersüßer Miene zu bedenken gab, 
daß sie in der gegenwärtigen Regierung „so reichlich mit Portefeuilles bedacht" seien." 
Der Zudrang des Publikums zur Kammersitzung am 20. August, auf deren Tages 
ordnung die Fortsetzung der Debatte über die Ergänzungskredite für zwei 
Unterstaatssekretariate im Kriegsministerium stand, war ungeheuer. 
Nach kurzen Reden der Abgeordneten Navare, Bouffenot und Merlin, die ihre Kritik 
an dem französischen Sanitätswesen fortsetzten, ergriff der Kriegsminister das Wort.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.