Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Frankreich während des dritten 
Kriegshalbjahres 
Von Anfang August 1915 bis Februar 1916 
Fortsetzung von Band VII, Seiten 263 bis 288 
Wie die Franzosen sich im Spiegel schm 
Von Hanns Heiss 
I. 
Man macht sich oft über die nationale Eitelkeit der Franzosen lustig. Sie sind aller 
dings zufrieden mit sich, sehr zufrieden, und die Offenheit, mit der sie sich darüber aus 
sprechen, hat etwas herzerfrischendes. Ein Franzose wird sich nie scheuen, bei jeder 
paffenden und unpassenden Gelegenheit, mag er sich mit noch so entlegenen Dingen be 
schäftigen, ein kleines Kompliment für Frankreich einzuflechten, etwa: unser Volk, das 
erste, das begabteste; ein Franzose wird sich z. B., wenn er Literarhistoriker ist und zu 
fällig über Romantik schreibt, nicht scheuen, dem Leser unvermittelt mit der Wendung 
ins Gesicht zu springen *): „Ein ganzes Volk, das großmütigste auf dem Planeten". 
Ueber das Vorurteil, Eigenlob riecht nicht gut, sind die Franzosen erhaben. Sie warten 
nicht erst in falscher Bescheidenheit, bis Lob sich einstellt; sie wissen, ihr Verdienst kann 
nie laut und überschwenglich genug gelobt werden. Und dies beneidenswerte Vertrauen 
klingt nie naiver durch, als wenn sie es einmal für geboten erachten, ihrerseits Ver 
bindliches und Schmeichelhaftes zu sagen, wie im 18. Jahrhundert den Engländern und 
Deutschen, die übersetzt wurden, oder nachher dem ganzen Deutschland in Bausch und 
Bogen (natürlich nur dem lieben, guten, braven Deutschland der Dichter und Denker), 
oder einem Ibsen und Tolstoi, denen man doch nicht zu deutlich merken zu lassen 
wünscht, daß sie im Grunde Barbaren sind wie Shakespeare, und mit denen man des 
halb verfährt wie ein Serenissimus, der Cercle hält, ein wenig von oben herab, mit 
einem leisen Anstrich von Gönnertum, aber gnädig und leutselig. Bismarck hat die 
Franzosen mit Apoll verglichen, der den Marsyas schindet^). „Er ist der echte Typus 
eines Franzosen; 's ist einer, der es nicht ertragen kann, daß jemand besser oder ebenso 
gut die Flöte spielt wie er." Der Vergleich hinkt wie alle. Richtig ist, daß die Fran 
zosen es als persönliche Kränkung empfinden, wenn andere Völker gelobt werden. Aber 
ein Vollblutfranzose wird nie glauben, daß ein anderes Volk so gut wie das seine 
spielt; das bildet sich das andere Volk nur ein und flunkert, weil es den Franzosen 
ein paar Kunstgriffe abgeguckt hat. 
Die Zeiten mögen sich ändern, wie sie wollen — Frankreich schreitet in der Welt 
voran, und Frankreich hat auch jedesmal die Männer, die eine Zeit gerade braucht, um 
ihr Ideal zu verwirklichen. Im Mittelalter hat es seine glaubenstreuen Recken und 
die Sänger, die deren Schwerthiebe verherrlichen; ein Epos wie das Rolandslied ist 
von einzigartiger Größe, weil es das Ideal der Aufopferung, der Treue, der Tapfer 
keit und Ehre ausdrückt, das sich im christlichen und feudalen Frankreich geformt hatte 
und von da aus Europa eroberte * 2 3 ). Wenn die Welt einen Voltaire braucht, wird er 
in Frankreich geboren; wenn die Welt einen Descartes braucht, einen Mirabeau, einen 
*) Zufällig stoße ich auf den Satz in Maigrons Le romantisme et les moeurs. S. 275. Aehnliche Beispiele würden 
sich tausendweise häufen lasten. 
2 ) In einem Tischgespräch vom 12. August 1870. Zitiert nach Tim Klein, Der Kanzler. S. 261. 
3 ) Gaston Paris in der Einleitung zu seinen Extraits de la chanson de Roland (9. Ausl.). S. XXXIV. 
Völkerkrieg. X, 
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