Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

212 Die Ereignisse an der Westfront im dritten Kriegshalbjahr 
(27. XII. 15), „erblickte man Leute mit Weihnachtstannen, die sie oft weither holen 
mußten, den Ortschaften zusteuern, in denen sie ihren Standort hatten. Auch sah man 
wohl einen Trupp verdroffener Franzosen, die größere Tannen trugen, begleitet von 
einem ernst und schweigend neben ihnen herschreitenden Landwehrmann. Patrouillen 
ritten die Umgegend ab, um in dem tannenarmen Lande das Vorhandensein eines der 
Tännchen sestzustellen, ohne das man dies deutscheste Fest nun einmal sich nicht denken 
kann. Die Verpflegungsoffizicre hatten alle Hände voll zu tun, um für die große Fa 
milie, Kompanie oder gar Bataillon genannt, Tische, Stühle, Getränke und einen kleinen 
Extraimbiß für die Weihnachtsfeiern aufzutreiben und bereitzustellen. Es gab Feiern 
an einzelnen Stellen der Front, die deshalb einen so eigenartigen Reiz erhielten, weil 
sie in großen Höhlen stattfanden, die Hunderten von Leuten Raum gewähren, der durch 
die Meisterhand der Natur etwas Kirchenartiges erhält. Es gab glänzend gelungene 
Veranstaltungen in den großer: Etappenorten und schlichte, ernste Feiern in weit vor 
geschobenen Stellungen und dunkeln Unterständen. Aber, wie leicht denkbar, konnten 
nicht alle diese Feiern auf die Festtage fallen, das erlaubt schon die Feuerbereitschaft 
nicht. Manche Kompanie weiß, daß zum Fest sie die Reihenfolge trifft, den Graben zu 
beziehen oder zu schanzen; Kameraden wissen, daß eine Abkommandierung sie trennen 
wird, die monatelang alle Not geteilt und die nun auch die Feier gemeinsam erleben 
möchten. So sind manche Weihnachtsfeiern auch schon vor den Weihnachtstagen ab 
gehalten worden." 
Eine charakteristische deutsche Weihnachtsfeier in einer Dorfkirche in den Vogesen 
schildert ein Feldpostbrief, der im „Schwäbischen Merkur" (14.1.16) veröffentlicht worden 
ist. Es heißt darin: „... Die Feier in der alten katholischen Kirche war ergreifend und 
wird uns allen unvergeßlich sein. In dem großräumigen Gotteshaus ohne Pfeiler 
standen auf der Chorerhöhung, wo der Altar hinten im Dämmer glitzerte, vorn über 
den Stufen zwei schlanke schöne Weihnachtsbäume. Nur ein Kristalllüster brannte noch 
seine Wachskerzen in der Mitte der Kirche. Links vorn saßen aus den Bänken un 
gefähr 40 bis 50 Kinder, Knaben und Mädchen, mit ihrer Lehrerin; rechts von den 
Kindern, jenseits des Mittelgangs, saßen die Offiziere. Wir waren kaum gekommen, 
als der Brigadekommandeur ankam, eine Exzellenz von ebenso militärischem wie vor 
nehmem Aussehen, mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse und noch einem großen 
goldenen Stern auf der Brust und dem Pom- le merite um den Hals. Nach der Be 
grüßung durch die Offiziere wandte er sich überraschenderweise an die alte französische 
Lehrerin und sprach verhältnismäßig lange höflich mit ihr. Dann begab er fich auf 
seinen Platz zwischen den Offizieren; ein Soldatenchor fang ein paar Lieder. Darauf 
fingen die Kinder an, ein französisches Weihnachtslied zu singen. Könnt Ihr Euch den 
hohen Raum vorstellen: die still brennenden Bäume, den General mit einem Gesicht voll 
Energie und Geist, die Heiligenbilder an den weißen Wänden, hinter uns lauter Sol 
daten, und ganz hinten männliche und weibliche Dorfbewohner; da beginnen dunkle 
Mädchen, in blauen und schwarzen Kleidchen, mit gedrehten, offenen Locken, mit der 
seltsamen romanischen Schwermut in den Augen und dem ovalen Wangenprofil, deutschen 
Soldaten ein Weihnachtslied vorzusingen, dessen Melodie so eigentümlich ist, rhythmisch 
zögernd und schleppend. Und als sie damit fertig, singen sie in deutscher Sprache: 
„O Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter ..." Wie sie dies zu singen anfingen, 
hatte ich plötzlich die stärkste Gesamtvorstellung, das stärkste Bild von Krieg und Frieden, 
aber gleichzeitig auch das verworrenste, das unerklärlichste. 
Danach standen ein Knabe und ein Mädchen, jedes von vielleicht zwölf Jahren, auf; 
das kleine Mädchen ging an den Platz von Exzellenz und übergab ihm einen großen 
Strauß Stechpalmen mit roten Beeren. Der Knabe dankte in längerer Rede für alles.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.