Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

162 D i e Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
Da werden aus verdeckten Bahren die ersten Toten vorbeigetragen . . . 
Die Riesenwälle, an die stch dieser Stadtteil angelehnt hat, sind unter dem unge 
heuren Kraftaufwand der explodierenden Munition zerflossen, haben stch hier zu neuen 
Hügeln gestaut, sind dort mit der Wucht stürzender Eisentürme tief hinein ins Erdreich 
gepreßt worden. 
Die Aufräumungsarbeiter leisten Erstaunliches. Im Verlauf dieses einen Tages wird 
Dutzenden von Verschütteten ans Licht geholfen. Bis zum Abend sind siebzig Leichen 
geborgen. Ruhig, ernst, ohne scharfe Befehle, rastlos wird geschaufelt, gezogen, gepackt, 
verladen, abgefahren. 
Da ist ein kleiner Auflaus. Ein Pionierunteroffizier läßt zwei ihm lästige Fran 
zosen entfernen. Und seine Auskunft über die Ursache ist bezeichnend. Die beiden 
Burschen stünden seit dem Morgen da, spuckten und rauchten und sähen der Arbeit der 
deutschen Pioniere aufmerksam zu: im Erdgeschoß dieses verschütteten Hauses vermuteten 
sie die Leiche ihres Vaters. Zweimal hat der Unteroffizier ihnen Schaufeln angeboten, 
damit sie mitsuchten; aber sie haben die Hände nicht aus den Taschen getan, haben un 
bekümmert weitergeraucht und weitergespuckt. Da hat den biederen Bayer endlich der 
Zorn übermannt . . . 
Die deutschen Pioniere arbeiten rasch und gewandt unter bewundernswert ruhiger 
und sicherer Leitung. Verwundete werden ausgegraben, Häuser, die einzustürzen drohen, 
werden niedergelegt. Den aufgeregten Menschen wird gut zugesprochen. Mitleidig sind 
sie alle, unsere Soldaten. Das bißchen Gerümpel der Unglücklichen wird auf Wagen 
geladen, Pioniere kutschieren sie in die Massenquartiere, die auf Anordnung des Gou 
vernements eingerichtet werden, oder zu Verwandten oder Freunden der Aermsten. 
„Ich habe gezählt: 250 Umzüge habe ich an dem einen Tage geleistet", sagte der 
Pionierhauptmann mit leichtem Anflug von Humor, „ich kann es mit jeder Konkurrenz 
aufnehmen." 
Am 19. Januar 1916 fand die feierliche Bestattung der Opfer statt. 106 Tote nach 
den Mitteilungen der „Gazette des Ardennes". „Ganz Lille strömte zusammen," be 
richtete Karl Rosner im „Berliner Lokalanzeiger" (20.1. 1916): „Auf etwa 15 flachen 
Wagen, die mit Blumen reich geschmückt waren, harrten die Toten ihrer letzten Fahrt. 
Vor den Särgen standen der deutsche Gouverneur von Lille und die Vertreter der 
deutschen Behörden; sie hatten große Trauerkränze mitgebracht. Zur Seite der deutschen 
Vertreter reihten sich die Spitzen der französischen Behörden und die Hinterbliebenen 
und Angehörigen der Toten. Nach der Einsegnung gaben die Vertreter der deutschen 
Behörden auch auf dem Wege zum Kirchhof, hinter den Wagen schreitend, den Toten 
das Geleite. Dann folgte der ungeheure Trauerzug, dessen weinende Frauen und ernst 
blickende Männer erkennen ließen, wie schwere Leiden dieses Explostonsunglück über die 
von deutscher Hand stets so sorgsam gehütete Stadt gebracht hat und mit wie viel 
Bitterkeit sie der Alliierten gedenken, die die Schuld an diesem grausigen Schicksal trifft." 
Aber nicht genug damit. Schon am 15. Januar 1916 und dann wieder am Tage der 
Bestattung der Explosionsopser schickten die Engländer, „diesmal wohl in dem Bestreben, 
aus ihre Art an den Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen, Granaten in die Stadt hinein. 
Sie wiederholten das auch später mehrere Male, glücklicherweise ohne Schaden anzu 
richten." Auch eine besondere artilleristische Leistung war das Bombardement von Lille 
nicht, da die englischen Batterien nach der „Frankfurter Zeitung" (17.1.1916) wohl 
kaum mehr als zehn bis zwölf Kilometer von Lille entfernt standen, während z. B. die 
Schußentfernung für die deutschen weittragenden Geschütze, als sie von Flandern aus 
Dünkirchen beschossen, 38 Kilometer betrug, also eine Entfernung, die die Breite des 
Aermelkanals übertrifft.
	        
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