Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Die Kämpfe an der Westfront während der großen englisch-französischen Herbftoffensive 103 
„Jetz kemmas!" schreit der Posten. Und der Mann im Sappenkopf ergreift die 
Handgranaten. 
Im Nu ist alles draußen, liegt jeder Mann im Anschlag, an die Erde geschmiegt, 
hinter Schutt und Lehm, jeden Muskel, jeden Nerv gespannt. 
Die Führer atmen erleichtert auf — eine Sekunde nur, aber es ist doch ein Aus 
atmen. Gottlob, wir sind da. Der Moment der beginnenden Feuerpause ist ausgenutzt, 
die leeren Gräben sind besetzt — Gräben? Löcher, Trichter, Schutthaufen! Was tut's, 
wir find da, zum blutigen Empfang gerüstet, Mann für Mann. Wo der Feind sich 
einbildet, es könne keine Maus mehr am Leben sein, nach solchem Feuer. 
Es kracht mit dumpfem Bersten, der Feind gibt seine letzten Minen aus, Rauch 
wolken steigen empor, da, dort, und durch das schwarze Gewölk stürmen sie vor, die 
Franzosen, in Sturmkolonnen zu 30 und 40 Mann, die Gewehre zum Sturm gefällt, 
die Gesichter wild verzerrt, die Augen weit offen: „En avant! En avant!" Ein ver 
nichtendes Feuer empfängt sie. Unsere Maschinengewehre mähen furchtbar, unser 
Schützenfeuer ist gezielt. Sie erschrecken, stürzen, wanken, weichen zurück. Ihre Offi 
ziere, den Revolver in der Hand, treiben sie vor. Es Hilst nichts. An manchen Stellen 
fällt unser Feuer so hageldicht, daß sie ihren Graben garnicht zu verlassen wagen. Wo 
sie es dennoch tun, kriegen sie Flankenfeuer von unseren Sappenposten mit Handgranaten. 
Was nützt da ihre Uebermacht! Sie können nicht vor, sie rennen in ihr Verderben. 
Sie können auch nicht zurück. Denn unsere Artillerie, die den Moment des beginnen 
den Sturmes scharf ersaßt und ganze Kompagniekolonnen beim Vorgehen zerschmettert 
hat, gibt jetzt Sperrfeuer für die Franzosen. Und schlimmer noch: die eigene Artillerie 
des Feindes legt ihre Schrapnelle in den Rücken der schwankenden Sturmtruppen. Das 
ist kein Zufall, das ist erwiesene Absicht. So schlecht schießt kein französischer Kanonier, 
wenn er nicht muß. Die Kolonnen sollen vor, unter allen Umständen, die Vimy-Höhen 
sollen in ihrer ganzen Länge, vier Kilometer und mehr, gewonnen sein. 
An einzelnen Grabenteilen sind die Angreifer anscheinend glücklicher. Mutig arbeiten 
sie sich vor, schon haben sie den Graben erreicht und nun sind sie drin. Was ist ge 
schehen? Der Unterstand ist durch eine Mine verschüttet, der Zugführer liegt ohnmächtig 
am Boden, die Gewehre und ein Teil der Mannschaft sind im Geröll begraben. Der 
Rest wehrt sich mit Handgranaten. Der Pionierspaten blitzt und schafft ganze Arbeit, 
von der Seite kommt Verstärkung mit dem Kompaniesührer an der Spitze. Schon haben 
die Franzosen eilig mit Sandsäcken ihre Flanke verbarrikadiert. Nun wird ihnen die 
Eile zum Verderben: sie werden in die Sackgasse getrieben, im Handgemenge erschlagen 
und erstochen, der Rest gibt sich gefangen. 
Hinter den Wolken von Schutt, Qualm und Stank ist die matte Oktobersonne Flanderns 
müde und unbeachtet zur Ruhe gegangen. Immer noch hämmert, faucht und kracht die 
schwere Artillerie im Bogen über die vorderste Linie hinweg. Dann wird sie stiller. 
Die Granaten kommen einzeln, unwillig und böse. Sie wissen, daß sie nur noch stören, 
nicht mehr sperren oder vernichten können. Die deutsche Front steht unerschüttert. Der 
Sturm auf die Vimy-Höhen ist abgeschlagen. Schon legt sich das Dunkel der Nacht 
schützend aus Tod und Wunden. Die Sanitäter haben zu schaffen. Die Kämpfer aber 
schanzen rüstig an Gräben und Unterständen, zum wievielten Male, wissen sie selbst kaum. 
Denn wer weiß, vielleicht gelüstet es den Feind einmal nach einem Nachtangriff, weil 
ihm der Tag so wenig hold war. 
Das Regiment im Nachbargraben aber hat eine Mordswut. „Grad bei uns 
sans net kemma, die Malefizkerl, di verdächtigen!" Dieser Stoßseufzer vom Lederer- 
Lucki ist echt und schwer, so echt und schwer wie der Lucki und seine Kameraden 
selbander.
	        
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