Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

94 Die Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
die Verteidiger vorzogen, unter den Bajonetten der Zuaven zu fallen. Westlich davon 
besetzte die Kolonialdivision Marchand mit unglaublicher Raschheit die Ferme Navarin 
— wurde doch die Distanz von drei Kilometern in 45 Minuten zurückgelegt! Im Sektor 
du Mesnil umgekehrt, wo sich das berühmte Trapez befindet, hielt sich die deutsche En 
klave bis zum 6. Oktober, wo sie durch Umzingelung fiel; von der Besatzungsmannschaft, 
die zwei Bataillone betragen hatte, lebten noch vierzig Mann. Im Sektor Perthes 
litten die Franzosen stark unter dem Feuer des Hügels von Tahure, um den zur Stunde 
noch gekämpft wird. In einem einzigen Sprunge dagegen gelangten sie auf den Kamm 
der Maisons de Champagne, töteten die deutschen Artilleristen vor ihren Geschützen und 
nahmen zahlreiche Artillerieoffiziere gefangen. Am interessantesten und am blutigsten war der 
Kampf um die Stellung Massiges, einem steil abfallenden Hochplateau, das an Un- 
bezwinglichkeit die Höhe von Eparges zu übertreffen schien. Im Laufe einer Viertelstunde 
hatten die Tirailleurs die Höhe erstürmt, dann aber raffte sich der Feind von seiner 
Verblüffung auf und schien mit seinen Maschinengewehren jedes weitere Vordringen un 
möglich zu machen. Ein tagelanger Kampf mit Handgranaten begann, die französischen 
Grenadiere, die sämtlich den neuen Helm trugen, reichten sich die Granaten, wie man 
die Feuereimer beim Dorfbrand weitergibt, und bombardierten mit einer Hartnäckigkeit 
und Wut ohnegleichen die Eingänge der deutschen Erdhöhlen. Die Eliteregimenter 
ihrerseits, die der Kronprinz aus den Argonnen zu Hilfe geschickt, machten ihrem Ruf 
alle Ehre, wie die Franzosen selbst anerkennen, ließen sich doch viele aus ihren Granat 
kasten und an ihren Mitrailleusen lieber töten als gefangen nehmen. Daß trotz dieser 
Bravour die Franzosen auf der ganzen Linie siegreich blieben und allen Gegenangriffen 
die Stirn boten, scheint ein Beweis dafür, daß es mit jener Ueberlegenheit an 
Material und Menschen, über die die Deutschen bei Beginn des Feldzuges verfügten, 
längst vorbei ist. Die überaus große Zahl der Gefangenen, die Beute an Kanonen 
und Kriegsmaterial (die jetzt den Hof „des Invalides" füllen), die gewaltigen Verluste 
des Feindes an Verwundeten und Toten, die Art und Weise, wie die Reserven auf 
allen Teilen der Front zusammengerafft und auf einem ihnen nicht bekannten Gelände 
in den Kamps geworfen wurden, all das gibt den Franzosen das Bewußtsein, neben dem 
taktischen Erfolge einen materiellen und moralischen Sieg davongetragen zu haben, der 
den Einsatz an Menschenleben und Munition wohl wert war." 
Die Berichte der Pariser Korrespondenten lauten ähnlich und beschäftigen sich gleich 
falls vor allem mit den Vorbereitungen und dem ersten Ansturm. „Durch ganz Frank 
reich", heißt es in einem der Berichte der „Times" (28. IX. 1915), „lief ein hoff 
nungsvolles Flüstern: „Wir werden angreifen. Die Lazarette halten sich bereit, es 
ist so weit." In den Gräben brannten die Leute aus den Kampf und in der Nacht 
vom 24. zum 25. September wurde jeder Zweifel durch den für den französischen Sol 
daten überzeugendsten Beweis behoben: durch die Ausgabe einer Extraration Wein. 
Am 25. September um 9 Uhr morgens versammelten sich seltsame Gestalte« in ihren 
„unsichtbaren" blauen Uniformen und den mittelalterlichen Stahlhelmen um ihre Kom- 
paniesührer, die ihnen in zündenden Worten zuriesen, was Frankreich und ihr Regiment 
von ihnen erwartet. Mit dem Wahlspruch „Siegen oder Sterben" unter heiserem 
Schreien und dem Gesang der „Marseillaise" und „Carmagnole" stürzten sie aus ihren 
Gräben hervor, dem Feinde entgegen. Es bedurfte für sie keiner zweiten Aufforderung, 
als die Offiziere ihnen ihr „Do avant, mes enfants“ („Vorwärts, meine Kinder") zu 
gerufen hatten. Mit gellenden Schreien liefen sie unter einem Sturmwind von Granaten 
auf die deutschen Linien zu. Es entsprach der Tradition, daß General Marchand seine 
Kolonialtruppen, die auch diesmal den ersten Ansturm auszuführen hatten, selbst anführte. 
Gleich zu Beginn des Kampfes fiel er, als er, umgeben von seinem Stabe, einen Rohr-
	        
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