Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

90 Die Ereignisse an der Westfront im dritten Kriegshalbjahr 
nicht, die ältesten Landsturmleute bis herunter zu dem jüngsten, frisch gekommenen 
Rekruten. Man muß es erlebt haben, um ermessen zu können, wie dieses Aushalten, 
Zusammenhalten auf einen wirkt. Und stundenlang wurde dann über den Kameraden 
gesprochen, der uns entrissen wurde. Und es stnd viele, allzu viele, die uns genommen 
wurden, allerdings ein verschwindend kleiner Bruchteil gegenüber dem, was die Franzosen 
verloren haben. Haufenweise fielen sie dort, zu jeder Tages- und Nachtzeit kamen sie, 
in zwei-, drei- und vierfacher Schützenlinie, und hintendran in Gruppenkolonnen. Und 
immer wieder mußten sie zurück, hausenweise die Toten zurücklassend. Und als es uns 
am Freitag zu dumm wurde, dieses ewige Zurückschlagen, da gingen wir ihnen nach, 
holten eine Anzahl Kameraden einer andern Kompanie, die sie überrascht und gefangen 
genommen hatten, wieder heraus, und nahmen noch eine hübsche Anzahl Franzmänner 
mit. Daß wir eine tüchtige Arbeit geleistet hatten, war daran zu ersehen, daß uns so 
wohl der Brigadegeneral wie auch der Kommandierende persönlich Anerkennung und 
Dank aussprachen.... 
Aber immer wieder kehrten meine Gedanken auf das eine zurück: auf die Stimmung 
und Haltung der Leute. Ich hatte manche Enttäuschung erlebt, aber alle waren wie 
umgewandelt vom Beginn des ersten französischen Angriffes an. Wenn man so in 
Zeitungsartikeln liest: „Wir lassen keinen durch", so ist das dort nichts anderes als 
eine schöne Phrase. Aber hier in der Wirklichkeit, wo es sich ernstlich darum handelte, 
keinen durchzulassen, da hatte das Wort Inhalt. Man muß das gehört haben, wenn 
ein einfacher Arbeiter oder sonst stillzufriedener Landwirt mitten im Gefecht einem fröh 
lich zurief: „Durch kommt keiner!" Es waren schwere, furchtbare Tage, man glaubte 
oft, es nun nicht mehr länger ertragen zu können, aber dennoch: Ich bereue es nicht, 
sie miterlebt zu haben." 
Gefangene aus der Champagne-Herbstschlacht 
Es ist bemerkenswert und charakteristisch, daß die schweren Herbstkämpfe in der 
Champagne das regelmäßige Erscheinen der nahe der Front hergestellten „Champagne- 
Kriegszeitung" in keiner Weise behindert haben, ja daß sie sich im Gedröhn des stärksten 
Geschützseuers in Ruhe auch mit den aufregenden Ereignissen an der Front beschäftigte. 
So enthält die Nummer vom 6. Oktober 1915 folgende lebendige Schilderung: „Als der 
Geschützdonner immer heftiger wurde und nahe Explosionen großer Geschosse, mit denen 
die Franzosen die Straße belegten, hörbar wurden, bemächtigte sich der sranzöstschen 
Einwohnerschaft des Dorfes große Erregung. Vor einigen Tagen waren Gefangene 
dagewesen, übermütige Kerle, die sich frech umsahen: „In acht Tagen sind die Unsern 
hier und die Deutschen xeräa," sagten die, und die Einwohner hatten etwas davon 
aufgeschnappt, und nun warteten sie darauf. Vor ihren Türen stehend, lauschten sie 
gespannt jeder Variation des fernen Gewitters, standen auf der Straße, am Brunnen 
beisammen, flüsterten miteinander, Männer und Frauen. Die vorübergehenden deutschen 
Soldaten bemühten sie sich jetzt nicht zu sehen, um den Gruß schicklich vermeiden zu 
dürfen. Aber drehte sich einer plötzlich um, sah er die Augen aller aus sich gerichtet 
und eine neue, nie bemerkte Feindseligkeit blitzte in ihnen und etwas wie Spott, als wie: 
Eure lauten Schritte und euer Sporenklirren wird bald zu Ende sein hier, wir ver 
stehen sehr wohl die Sprache der französischen Geschütze. Aber einige alten Leute sagten 
ganz ehrlich: „Wenn die Franzosen kommen, wird alles hier in Grund und Boden ge 
schossen, wir danken aber für Granaten, wir haben genug erlebt und wünschen, daß 
alles bleibt wie es ist." 
Als mittags am dritten Tage das Schießen aufhörte, versammelten sich einige am 
Eingang des Dorfes, die ersten Chasseurs d'Asrique zu erwarten, die als Avant
	        
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