90 Die Ereignisse an der Westfront im dritten Kriegshalbjahr
nicht, die ältesten Landsturmleute bis herunter zu dem jüngsten, frisch gekommenen
Rekruten. Man muß es erlebt haben, um ermessen zu können, wie dieses Aushalten,
Zusammenhalten auf einen wirkt. Und stundenlang wurde dann über den Kameraden
gesprochen, der uns entrissen wurde. Und es stnd viele, allzu viele, die uns genommen
wurden, allerdings ein verschwindend kleiner Bruchteil gegenüber dem, was die Franzosen
verloren haben. Haufenweise fielen sie dort, zu jeder Tages- und Nachtzeit kamen sie,
in zwei-, drei- und vierfacher Schützenlinie, und hintendran in Gruppenkolonnen. Und
immer wieder mußten sie zurück, hausenweise die Toten zurücklassend. Und als es uns
am Freitag zu dumm wurde, dieses ewige Zurückschlagen, da gingen wir ihnen nach,
holten eine Anzahl Kameraden einer andern Kompanie, die sie überrascht und gefangen
genommen hatten, wieder heraus, und nahmen noch eine hübsche Anzahl Franzmänner
mit. Daß wir eine tüchtige Arbeit geleistet hatten, war daran zu ersehen, daß uns so
wohl der Brigadegeneral wie auch der Kommandierende persönlich Anerkennung und
Dank aussprachen....
Aber immer wieder kehrten meine Gedanken auf das eine zurück: auf die Stimmung
und Haltung der Leute. Ich hatte manche Enttäuschung erlebt, aber alle waren wie
umgewandelt vom Beginn des ersten französischen Angriffes an. Wenn man so in
Zeitungsartikeln liest: „Wir lassen keinen durch", so ist das dort nichts anderes als
eine schöne Phrase. Aber hier in der Wirklichkeit, wo es sich ernstlich darum handelte,
keinen durchzulassen, da hatte das Wort Inhalt. Man muß das gehört haben, wenn
ein einfacher Arbeiter oder sonst stillzufriedener Landwirt mitten im Gefecht einem fröh
lich zurief: „Durch kommt keiner!" Es waren schwere, furchtbare Tage, man glaubte
oft, es nun nicht mehr länger ertragen zu können, aber dennoch: Ich bereue es nicht,
sie miterlebt zu haben."
Gefangene aus der Champagne-Herbstschlacht
Es ist bemerkenswert und charakteristisch, daß die schweren Herbstkämpfe in der
Champagne das regelmäßige Erscheinen der nahe der Front hergestellten „Champagne-
Kriegszeitung" in keiner Weise behindert haben, ja daß sie sich im Gedröhn des stärksten
Geschützseuers in Ruhe auch mit den aufregenden Ereignissen an der Front beschäftigte.
So enthält die Nummer vom 6. Oktober 1915 folgende lebendige Schilderung: „Als der
Geschützdonner immer heftiger wurde und nahe Explosionen großer Geschosse, mit denen
die Franzosen die Straße belegten, hörbar wurden, bemächtigte sich der sranzöstschen
Einwohnerschaft des Dorfes große Erregung. Vor einigen Tagen waren Gefangene
dagewesen, übermütige Kerle, die sich frech umsahen: „In acht Tagen sind die Unsern
hier und die Deutschen xeräa," sagten die, und die Einwohner hatten etwas davon
aufgeschnappt, und nun warteten sie darauf. Vor ihren Türen stehend, lauschten sie
gespannt jeder Variation des fernen Gewitters, standen auf der Straße, am Brunnen
beisammen, flüsterten miteinander, Männer und Frauen. Die vorübergehenden deutschen
Soldaten bemühten sie sich jetzt nicht zu sehen, um den Gruß schicklich vermeiden zu
dürfen. Aber drehte sich einer plötzlich um, sah er die Augen aller aus sich gerichtet
und eine neue, nie bemerkte Feindseligkeit blitzte in ihnen und etwas wie Spott, als wie:
Eure lauten Schritte und euer Sporenklirren wird bald zu Ende sein hier, wir ver
stehen sehr wohl die Sprache der französischen Geschütze. Aber einige alten Leute sagten
ganz ehrlich: „Wenn die Franzosen kommen, wird alles hier in Grund und Boden ge
schossen, wir danken aber für Granaten, wir haben genug erlebt und wünschen, daß
alles bleibt wie es ist."
Als mittags am dritten Tage das Schießen aufhörte, versammelten sich einige am
Eingang des Dorfes, die ersten Chasseurs d'Asrique zu erwarten, die als Avant