Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

88 Die Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
oder der Tornister verschüttet worden, viele Gewehre schon zerschossen; Ersatz wurde 
von den Verwundeten oder Toten genommen. Rechts von uns hörten wir abends 
Jnfanteriefeuer. Vor uns erschien zunächst keine feindliche Infanterie. Wir machten 
uns daran, die Toten zu begraben. 
In der Nacht versuchten wir, auf der oberen Fläche des Berges wieder einen Graben 
und etwas Drahthindernis herzustellen. Aber diese Arbeit mußte in dem immer 
schärferen Artilleriefeuer bald eingestellt werden. So halsen wir uns ohne Graben, 
hier drei Mann in einem Granattrichter, dort ein paar hinter Kreidetrümmern. Als 
es Tag wurde, sahen wir alle von Kreidegestein bestäubt aus wie die Müller. Von dem 
Kiesernwalde auf dem Kanonenberge stand kein Baum mehr, nur noch kurze zer 
splitterte Stämme, daran rechts und links ein Aestchen noch. Wir glaubten, die 
Franzosen machten einen Gasangriff, denn der Wind brachte einen matten, 
süßen, entsetzlichen Geruch mit, der uns ganz benahm. Aber das kam von einem 
Kirchhof dicht vor uns, aus dem von der Erstürmung des Berges vom Frühjahr her 
etwa 70 Kameraden begraben lagen. Das war alles von Granaten greulich aufgewühlt. 
Sonst aber haben jene endlosen Stunden nicht viel Erinnerungen hinterlassen. Ver 
mutlich haben wir nichts gegessen oder getrunken, wer sollte uns das in diesem fürchter 
lichen Feuer auch bringen? Todmüde, aber die einschlagenden Granaten, Minen, Kar 
tätschen und Schrapnells ließen keinen Schlaf zu, sie erschütterten schmerzhaft den 
Körper und ließen in den Ohren ein quälendes Klingen zurück. Einmal hatte ich ein 
paar Zigaretten vom Bataillonsadjutanten, je eine für mich und meine Nachbarn. 
Gegen Morgen hatte sich das Feuer zum Trommelfeuer gesteigert. Ich weiß nicht, 
ob der Ausdruck „Trommelfeuer" erst in diesem Kriege aufgekommen ist; aber einen 
besseren Namen kann es für diese Einrichtung nicht geben. 
Mit einem Male kriegten wir keine Granaten mehr; alles flog über uns weg, 
hinter den Berg. 
„Alles aufpassen! Achtung!" Nun mußten sie kommen! Richtig, nach einem 
Weilchen merkten wir, daß französische Infanterie vor uns auf dem Berge sich heran 
arbeitete. Sie schossen hinter Erdhausen vor, versteckten sich in Granattrichtern, schlichen 
sich im zerschossenen Laufgraben heran. Wo unsere Leute einen sahen, schossen sie. 
Bald flogen die Handgranaten herüber und hinüber. Links hatte der Feind uns schon 
umfaßt. Plötzlich hörten wir gerade hinter uns lebhaftes Gewehrfeuer: das war sehr 
niederdrückend für uns. (Wir erfuhren später, daß dort ein Patronenlager in Brand 
geschossen war.) Aber unsere Leute hielten ruhig aus und feuerten Schuß um Schuß, 
sobald sich Gegner zeigten. Sehr wirksam halsen unsere Maschinengewehre. Aber der 
Feind war zähe. Immer neue Angreifer kamen. Da hatte sich einer dicht vor uns 
eingenistet, immer wieder richtete er sich hoch aus, den Stahlhelm aus dem Kopfe, den 
linken Arm gekrümmt, mit dem rechten weit ausholend schleuderte er seine Handgranaten 
auf uns. Er war ein derber Kerl, sah aus wie ein alter Römer. „Schade um den 
tapferen Kerl!" sagten die Leute neben mir, als ihn unser Maschinengewehr erledigte. 
Plötzlich kamen wieder Granaten gesaust, französische schwere Granaten, die, zu kurz, 
mitten in die stürmende französische Infanterie gingen. Wir hörten die Franzosen 
schreien, sie schossen verzweifelt ihre grünen Signalraketen hoch, aber sie hatten eine 
Weile lang schwere Verluste durch ihre eigene Artillerie. 
Der Angriff war abgeschlagen. Reste der Angreifer, die sich vor unserer Front in 
zerschossenen Grabenstücken eingenistet hatten, wurden von uns durch starke Patrouillen 
mit Handgranaten erledigt. Unsere Zurufe „Rendez-vous, camarades!“ hatten die 
Franzosen abgelehnt und, nach einigem Gestikulieren, mit Handgranaten beantwortet. 
An einem seitlichen Berghange entdeckten unsere Patrouillen zwei französische Kompanien,
	        
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